Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

sondern daß er gleichsam zu ihnen mitgerechnet
wurde, ohne doch zu ihnen zu gehören. --

Da ihn nun niemand von allen diesen Men¬
schen kannte, und niemand sich um ihn beküm¬
merte, so verglich er sich auch mit keinem mehr;
er war, wie von sich selbst geschieden; seine In¬
dividualität, die ihn so oft gequält und gedrückt
hatte, hörte auf, ihm lästig zu seyn; und er
hätte sein ganzes Leben auf die Weise ungekannt
und ungesehen unter den Menschen herumwan¬
deln mögen.

Als er nicht weil vom Thore einen Gasthof
suchte, kam ihm die Straße bekannt vor, und
er erinnerte sich wieder an die Zeit als er vor
vier Jahren, mit dem Rektor bei dem er wohnte,
am Frohnleichnamsfeste hier war, und an die
ängstliche und peinliche Lage in der er sich da¬
mals befand, weil er von der Gesellschaft mit
der er ging weder ausgeschlossen war, noch ei¬
gentlich dazu gehörte. -- Es wälzte sich ihm
wie ein Stein vom Herzen weg, da er sich das
alles nun als gänzlich vergangen dachte.

In dem Gasthofe, worin er nun einkehrte,
empfing und bewirthete man ihn nach seiner

ſondern daß er gleichſam zu ihnen mitgerechnet
wurde, ohne doch zu ihnen zu gehoͤren. —

Da ihn nun niemand von allen dieſen Men¬
ſchen kannte, und niemand ſich um ihn bekuͤm¬
merte, ſo verglich er ſich auch mit keinem mehr;
er war, wie von ſich ſelbſt geſchieden; ſeine In¬
dividualitaͤt, die ihn ſo oft gequaͤlt und gedruͤckt
hatte, hoͤrte auf, ihm laͤſtig zu ſeyn; und er
haͤtte ſein ganzes Leben auf die Weiſe ungekannt
und ungeſehen unter den Menſchen herumwan¬
deln moͤgen.

Als er nicht weil vom Thore einen Gaſthof
ſuchte, kam ihm die Straße bekannt vor, und
er erinnerte ſich wieder an die Zeit als er vor
vier Jahren, mit dem Rektor bei dem er wohnte,
am Frohnleichnamsfeſte hier war, und an die
aͤngſtliche und peinliche Lage in der er ſich da¬
mals befand, weil er von der Geſellſchaft mit
der er ging weder ausgeſchloſſen war, noch ei¬
gentlich dazu gehoͤrte. — Es waͤlzte ſich ihm
wie ein Stein vom Herzen weg, da er ſich das
alles nun als gaͤnzlich vergangen dachte.

In dem Gaſthofe, worin er nun einkehrte,
empfing und bewirthete man ihn nach ſeiner

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0018" n="4"/>
&#x017F;ondern daß er gleich&#x017F;am zu ihnen mitgerechnet<lb/>
wurde, ohne doch zu ihnen zu geho&#x0364;ren. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Da ihn nun niemand von allen die&#x017F;en Men¬<lb/>
&#x017F;chen kannte, und niemand &#x017F;ich um ihn beku&#x0364;<lb/>
merte, &#x017F;o verglich er &#x017F;ich auch mit keinem mehr;<lb/>
er war, wie von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;chieden; &#x017F;eine In¬<lb/>
dividualita&#x0364;t, die ihn &#x017F;o oft gequa&#x0364;lt und gedru&#x0364;ckt<lb/>
hatte, ho&#x0364;rte auf, ihm la&#x0364;&#x017F;tig zu &#x017F;eyn; und er<lb/>
ha&#x0364;tte &#x017F;ein ganzes Leben auf die Wei&#x017F;e ungekannt<lb/>
und unge&#x017F;ehen unter den Men&#x017F;chen herumwan¬<lb/>
deln mo&#x0364;gen.</p><lb/>
      <p>Als er nicht weil vom Thore einen Ga&#x017F;thof<lb/>
&#x017F;uchte, kam ihm die Straße bekannt vor, und<lb/>
er erinnerte &#x017F;ich wieder an die Zeit als er vor<lb/>
vier Jahren, mit dem Rektor bei dem er wohnte,<lb/>
am Frohnleichnamsfe&#x017F;te hier war, und an die<lb/>
a&#x0364;ng&#x017F;tliche und peinliche Lage in der er &#x017F;ich da¬<lb/>
mals befand, weil er von der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft mit<lb/>
der er ging weder ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en war, noch ei¬<lb/>
gentlich dazu geho&#x0364;rte. &#x2014; Es wa&#x0364;lzte &#x017F;ich ihm<lb/>
wie ein Stein vom Herzen weg, da er &#x017F;ich das<lb/>
alles nun als ga&#x0364;nzlich vergangen dachte.</p><lb/>
      <p>In dem Ga&#x017F;thofe, worin er nun einkehrte,<lb/>
empfing und bewirthete man ihn nach &#x017F;einer<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0018] ſondern daß er gleichſam zu ihnen mitgerechnet wurde, ohne doch zu ihnen zu gehoͤren. — Da ihn nun niemand von allen dieſen Men¬ ſchen kannte, und niemand ſich um ihn bekuͤm¬ merte, ſo verglich er ſich auch mit keinem mehr; er war, wie von ſich ſelbſt geſchieden; ſeine In¬ dividualitaͤt, die ihn ſo oft gequaͤlt und gedruͤckt hatte, hoͤrte auf, ihm laͤſtig zu ſeyn; und er haͤtte ſein ganzes Leben auf die Weiſe ungekannt und ungeſehen unter den Menſchen herumwan¬ deln moͤgen. Als er nicht weil vom Thore einen Gaſthof ſuchte, kam ihm die Straße bekannt vor, und er erinnerte ſich wieder an die Zeit als er vor vier Jahren, mit dem Rektor bei dem er wohnte, am Frohnleichnamsfeſte hier war, und an die aͤngſtliche und peinliche Lage in der er ſich da¬ mals befand, weil er von der Geſellſchaft mit der er ging weder ausgeſchloſſen war, noch ei¬ gentlich dazu gehoͤrte. — Es waͤlzte ſich ihm wie ein Stein vom Herzen weg, da er ſich das alles nun als gaͤnzlich vergangen dachte. In dem Gaſthofe, worin er nun einkehrte, empfing und bewirthete man ihn nach ſeiner

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/18
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/18>, abgerufen am 25.11.2024.