Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

Nun war aber noch nicht ausgemacht, ob
dieß ein Trauerspiel, oder eine Romanze, oder
ein Elegisches Gedicht werden sollte; genug,
es mußte etwas seyn, das würklich eine solche
Empfindung erwekte, wovon der Dichter gewis¬
sermaaßen schon ein Vorgefühl gehabt hatte.

In den Momenten dieses seeligen Vorge¬
fühls konnte die Zunge nur stammelnde einzelne
Laute hervor bringen. Etwa wie die in einigen
Klopstockschen Oden, zwischen denen die Lücken
des Ausdrucks mit Punkten ausgefüllt sind.

Diese einzelnen Laute aber bezeichneten denn
immer das Allgemeine von Groß, erhaben,
Wonnethränen, und dergleichen. -- Dieß
dauerte denn so lange, bis die Empfindung in
sich selbst wieder zurücksank, ohne auch nur ein
paar vernünftige Zeilen, zum Anfange von et¬
was Bestimmten, ausgebohren zu haben.

Nun war also während dieser Krisis nichts
Schönes entstanden, woran sich die Seele nach¬
her hätte festhalten können, und alles andre,
was würklich schon da war, wurde nun keines
Blicks mehr gewürdiget. Es war, als ob die
Seele eine dunkle Vorstellung von etwas ge¬

Nun war aber noch nicht ausgemacht, ob
dieß ein Trauerſpiel, oder eine Romanze, oder
ein Elegiſches Gedicht werden ſollte; genug,
es mußte etwas ſeyn, das wuͤrklich eine ſolche
Empfindung erwekte, wovon der Dichter gewiſ¬
ſermaaßen ſchon ein Vorgefuͤhl gehabt hatte.

In den Momenten dieſes ſeeligen Vorge¬
fuͤhls konnte die Zunge nur ſtammelnde einzelne
Laute hervor bringen. Etwa wie die in einigen
Klopſtockſchen Oden, zwiſchen denen die Luͤcken
des Ausdrucks mit Punkten ausgefuͤllt ſind.

Dieſe einzelnen Laute aber bezeichneten denn
immer das Allgemeine von Groß, erhaben,
Wonnethraͤnen, und dergleichen. — Dieß
dauerte denn ſo lange, bis die Empfindung in
ſich ſelbſt wieder zuruͤckſank, ohne auch nur ein
paar vernuͤnftige Zeilen, zum Anfange von et¬
was Beſtimmten, ausgebohren zu haben.

Nun war alſo waͤhrend dieſer Kriſis nichts
Schoͤnes entſtanden, woran ſich die Seele nach¬
her haͤtte feſthalten koͤnnen, und alles andre,
was wuͤrklich ſchon da war, wurde nun keines
Blicks mehr gewuͤrdiget. Es war, als ob die
Seele eine dunkle Vorſtellung von etwas ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0171" n="157"/>
      <p>Nun war aber noch nicht ausgemacht, ob<lb/>
dieß ein Trauer&#x017F;piel, oder eine Romanze, oder<lb/>
ein Elegi&#x017F;ches Gedicht werden &#x017F;ollte; genug,<lb/>
es mußte etwas &#x017F;eyn, das wu&#x0364;rklich eine &#x017F;olche<lb/>
Empfindung erwekte, wovon der Dichter gewi&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ermaaßen &#x017F;chon ein Vorgefu&#x0364;hl gehabt hatte.</p><lb/>
      <p>In den Momenten die&#x017F;es &#x017F;eeligen Vorge¬<lb/>
fu&#x0364;hls konnte die Zunge nur &#x017F;tammelnde einzelne<lb/>
Laute hervor bringen. Etwa wie die in einigen<lb/>
Klop&#x017F;tock&#x017F;chen Oden, zwi&#x017F;chen denen die Lu&#x0364;cken<lb/>
des Ausdrucks mit Punkten ausgefu&#x0364;llt &#x017F;ind.</p><lb/>
      <p>Die&#x017F;e einzelnen Laute aber bezeichneten denn<lb/>
immer das <hi rendition="#fr">Allgemeine von Groß</hi>, <hi rendition="#fr">erhaben</hi>,<lb/><hi rendition="#fr">Wonnethra&#x0364;nen</hi>, und dergleichen. &#x2014; Dieß<lb/>
dauerte denn &#x017F;o lange, bis die Empfindung in<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t wieder zuru&#x0364;ck&#x017F;ank, ohne auch nur ein<lb/>
paar vernu&#x0364;nftige Zeilen, zum Anfange von et¬<lb/>
was Be&#x017F;timmten, ausgebohren zu haben.</p><lb/>
      <p>Nun war al&#x017F;o wa&#x0364;hrend die&#x017F;er Kri&#x017F;is nichts<lb/>
Scho&#x0364;nes ent&#x017F;tanden, woran &#x017F;ich die Seele nach¬<lb/>
her ha&#x0364;tte fe&#x017F;thalten ko&#x0364;nnen, und alles andre,<lb/>
was wu&#x0364;rklich &#x017F;chon da war, wurde <choice><sic>nnn</sic><corr>nun</corr></choice> keines<lb/>
Blicks mehr gewu&#x0364;rdiget. Es war, als ob die<lb/>
Seele eine dunkle Vor&#x017F;tellung von etwas ge¬<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0171] Nun war aber noch nicht ausgemacht, ob dieß ein Trauerſpiel, oder eine Romanze, oder ein Elegiſches Gedicht werden ſollte; genug, es mußte etwas ſeyn, das wuͤrklich eine ſolche Empfindung erwekte, wovon der Dichter gewiſ¬ ſermaaßen ſchon ein Vorgefuͤhl gehabt hatte. In den Momenten dieſes ſeeligen Vorge¬ fuͤhls konnte die Zunge nur ſtammelnde einzelne Laute hervor bringen. Etwa wie die in einigen Klopſtockſchen Oden, zwiſchen denen die Luͤcken des Ausdrucks mit Punkten ausgefuͤllt ſind. Dieſe einzelnen Laute aber bezeichneten denn immer das Allgemeine von Groß, erhaben, Wonnethraͤnen, und dergleichen. — Dieß dauerte denn ſo lange, bis die Empfindung in ſich ſelbſt wieder zuruͤckſank, ohne auch nur ein paar vernuͤnftige Zeilen, zum Anfange von et¬ was Beſtimmten, ausgebohren zu haben. Nun war alſo waͤhrend dieſer Kriſis nichts Schoͤnes entſtanden, woran ſich die Seele nach¬ her haͤtte feſthalten koͤnnen, und alles andre, was wuͤrklich ſchon da war, wurde nun keines Blicks mehr gewuͤrdiget. Es war, als ob die Seele eine dunkle Vorſtellung von etwas ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/171
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/171>, abgerufen am 22.11.2024.