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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

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Die wenigen Tage nun, welche Reiser mit
dem Doktor Sauer in Erfurt verlebte, waren
für ihn höchst wichtig, weil sie seiner Seele ei¬
nen gewissen neuen Anstoß gaben: Er rafte sich
gegen alle die Unterdrückungen zusammen, wel¬
che jenen Geist so sehr hatten lähmen können.
Und der Unwille, den er darüber empfand,
flößte ihm einen gewissen Trotz ein, auch dem
Schwersten nicht zu unterliegen, und das ge¬
wissermaßen durch Widerstand zu rächen, was
jener gelitten hatte.

Sie waren eines Tages nach einem Dorfe
vor Erfurt zusammen spazieren gegangen, und
O.... war mit von der Gesellschaft. -- Als sie
gegen Abend zurückkehrten, kamen sie an ein
Gewässer, das mit dickem Gebüsch umgeben
war, und schwarz zwischen seinen Ufern hin¬
kroch. Hier blieb Sauer stehen, und suchte
mit dem Stocke die Tiefe zu messen, die er
aber nicht abreichen konnte. Er blieb stehen,
und sahe mit untergeschlagenen Armen in das
Wasser, und bemerkte die schwarze Fläche, und
wie langsam fließend es dahin kröche. --

Die wenigen Tage nun, welche Reiſer mit
dem Doktor Sauer in Erfurt verlebte, waren
fuͤr ihn hoͤchſt wichtig, weil ſie ſeiner Seele ei¬
nen gewiſſen neuen Anſtoß gaben: Er rafte ſich
gegen alle die Unterdruͤckungen zuſammen, wel¬
che jenen Geiſt ſo ſehr hatten laͤhmen koͤnnen.
Und der Unwille, den er daruͤber empfand,
floͤßte ihm einen gewiſſen Trotz ein, auch dem
Schwerſten nicht zu unterliegen, und das ge¬
wiſſermaßen durch Widerſtand zu raͤchen, was
jener gelitten hatte.

Sie waren eines Tages nach einem Dorfe
vor Erfurt zuſammen ſpazieren gegangen, und
O.... war mit von der Geſellſchaft. — Als ſie
gegen Abend zuruͤckkehrten, kamen ſie an ein
Gewaͤſſer, das mit dickem Gebuͤſch umgeben
war, und ſchwarz zwiſchen ſeinen Ufern hin¬
kroch. Hier blieb Sauer ſtehen, und ſuchte
mit dem Stocke die Tiefe zu meſſen, die er
aber nicht abreichen konnte. Er blieb ſtehen,
und ſahe mit untergeſchlagenen Armen in das
Waſſer, und bemerkte die ſchwarze Flaͤche, und
wie langſam fließend es dahin kroͤche. —

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[141/0155] Die wenigen Tage nun, welche Reiſer mit dem Doktor Sauer in Erfurt verlebte, waren fuͤr ihn hoͤchſt wichtig, weil ſie ſeiner Seele ei¬ nen gewiſſen neuen Anſtoß gaben: Er rafte ſich gegen alle die Unterdruͤckungen zuſammen, wel¬ che jenen Geiſt ſo ſehr hatten laͤhmen koͤnnen. Und der Unwille, den er daruͤber empfand, floͤßte ihm einen gewiſſen Trotz ein, auch dem Schwerſten nicht zu unterliegen, und das ge¬ wiſſermaßen durch Widerſtand zu raͤchen, was jener gelitten hatte. Sie waren eines Tages nach einem Dorfe vor Erfurt zuſammen ſpazieren gegangen, und O.... war mit von der Geſellſchaft. — Als ſie gegen Abend zuruͤckkehrten, kamen ſie an ein Gewaͤſſer, das mit dickem Gebuͤſch umgeben war, und ſchwarz zwiſchen ſeinen Ufern hin¬ kroch. Hier blieb Sauer ſtehen, und ſuchte mit dem Stocke die Tiefe zu meſſen, die er aber nicht abreichen konnte. Er blieb ſtehen, und ſahe mit untergeſchlagenen Armen in das Waſſer, und bemerkte die ſchwarze Flaͤche, und wie langſam fließend es dahin kroͤche. —

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/155>, abgerufen am 27.04.2024.