Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

immer die Funken des unterdrückten Genies
hervorsprühten.

So aber mußte er schreiben, und wöchent¬
lich seinen Bogen liefern, um wiederum ein Jahr¬
lang von seinem mühseeligen Leben zu athmen.
-- Da nun die Wochenschrift aufhörte, so war
er genöthigt, wieder von Korrekturen sein Da¬
seyn zu erhalten. Und da er selber dramatische
Ausarbeitungen von vielem Werth in seinem
Pulte liegen hatte, die er nicht wagte, zum
Vorschein zu bringen, mußte er für einen vor¬
nehmen Herrn in Erfurt, mit aller Sorgfalt
und Korrektheit eines Kopisten ein Trauerspiel
für Geld abschreiben, um mit dem Abschreiber¬
lohn wiederum einige Tage lang sein Leben zu
fristen.

Als Arzt verdiente er nichts: Denn er fühl¬
te einen besondern Hang in sich, gerade den Leu¬
ten zu helfen, die der Hülfe am meisten bedür¬
fen, und denen sie am wenigsten geleistet wird.
Und weil dieß nun gerade diejenigen sind, welche
die Hülfe nicht zu bezahlen vermögen, so gerieth
der Arzt selber in große Gefahr zu verhungern,
wenn er nicht Wochenschriften herausgegeben,

immer die Funken des unterdruͤckten Genies
hervorſpruͤhten.

So aber mußte er ſchreiben, und woͤchent¬
lich ſeinen Bogen liefern, um wiederum ein Jahr¬
lang von ſeinem muͤhſeeligen Leben zu athmen.
— Da nun die Wochenſchrift aufhoͤrte, ſo war
er genoͤthigt, wieder von Korrekturen ſein Da¬
ſeyn zu erhalten. Und da er ſelber dramatiſche
Ausarbeitungen von vielem Werth in ſeinem
Pulte liegen hatte, die er nicht wagte, zum
Vorſchein zu bringen, mußte er fuͤr einen vor¬
nehmen Herrn in Erfurt, mit aller Sorgfalt
und Korrektheit eines Kopiſten ein Trauerſpiel
fuͤr Geld abſchreiben, um mit dem Abſchreiber¬
lohn wiederum einige Tage lang ſein Leben zu
friſten.

Als Arzt verdiente er nichts: Denn er fuͤhl¬
te einen beſondern Hang in ſich, gerade den Leu¬
ten zu helfen, die der Huͤlfe am meiſten beduͤr¬
fen, und denen ſie am wenigſten geleiſtet wird.
Und weil dieß nun gerade diejenigen ſind, welche
die Huͤlfe nicht zu bezahlen vermoͤgen, ſo gerieth
der Arzt ſelber in große Gefahr zu verhungern,
wenn er nicht Wochenſchriften herausgegeben,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0148" n="134"/>
immer die Funken des unterdru&#x0364;ckten Genies<lb/>
hervor&#x017F;pru&#x0364;hten.</p><lb/>
      <p>So aber mußte er &#x017F;chreiben, und wo&#x0364;chent¬<lb/>
lich &#x017F;einen Bogen liefern, um wiederum ein Jahr¬<lb/>
lang von &#x017F;einem mu&#x0364;h&#x017F;eeligen Leben zu athmen.<lb/>
&#x2014; Da nun die Wochen&#x017F;chrift aufho&#x0364;rte, &#x017F;o war<lb/>
er geno&#x0364;thigt, wieder von Korrekturen &#x017F;ein Da¬<lb/>
&#x017F;eyn zu erhalten. Und da er &#x017F;elber dramati&#x017F;che<lb/>
Ausarbeitungen von vielem Werth in &#x017F;einem<lb/>
Pulte liegen hatte, die er nicht wagte, zum<lb/>
Vor&#x017F;chein zu bringen, mußte er fu&#x0364;r einen vor¬<lb/>
nehmen Herrn in Erfurt, mit aller Sorgfalt<lb/>
und Korrektheit eines Kopi&#x017F;ten ein Trauer&#x017F;piel<lb/>
fu&#x0364;r Geld ab&#x017F;chreiben, um mit dem Ab&#x017F;chreiber¬<lb/>
lohn wiederum einige Tage lang &#x017F;ein Leben zu<lb/>
fri&#x017F;ten.</p><lb/>
      <p>Als Arzt verdiente er nichts: Denn er fu&#x0364;hl¬<lb/>
te einen be&#x017F;ondern Hang in &#x017F;ich, gerade den Leu¬<lb/>
ten zu helfen, die der Hu&#x0364;lfe am mei&#x017F;ten bedu&#x0364;<lb/>
fen, und denen &#x017F;ie am wenig&#x017F;ten gelei&#x017F;tet wird.<lb/>
Und weil dieß nun gerade diejenigen &#x017F;ind, welche<lb/>
die Hu&#x0364;lfe nicht zu bezahlen vermo&#x0364;gen, &#x017F;o gerieth<lb/>
der Arzt &#x017F;elber in große Gefahr zu verhungern,<lb/>
wenn er nicht Wochen&#x017F;chriften herausgegeben,<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0148] immer die Funken des unterdruͤckten Genies hervorſpruͤhten. So aber mußte er ſchreiben, und woͤchent¬ lich ſeinen Bogen liefern, um wiederum ein Jahr¬ lang von ſeinem muͤhſeeligen Leben zu athmen. — Da nun die Wochenſchrift aufhoͤrte, ſo war er genoͤthigt, wieder von Korrekturen ſein Da¬ ſeyn zu erhalten. Und da er ſelber dramatiſche Ausarbeitungen von vielem Werth in ſeinem Pulte liegen hatte, die er nicht wagte, zum Vorſchein zu bringen, mußte er fuͤr einen vor¬ nehmen Herrn in Erfurt, mit aller Sorgfalt und Korrektheit eines Kopiſten ein Trauerſpiel fuͤr Geld abſchreiben, um mit dem Abſchreiber¬ lohn wiederum einige Tage lang ſein Leben zu friſten. Als Arzt verdiente er nichts: Denn er fuͤhl¬ te einen beſondern Hang in ſich, gerade den Leu¬ ten zu helfen, die der Huͤlfe am meiſten beduͤr¬ fen, und denen ſie am wenigſten geleiſtet wird. Und weil dieß nun gerade diejenigen ſind, welche die Huͤlfe nicht zu bezahlen vermoͤgen, ſo gerieth der Arzt ſelber in große Gefahr zu verhungern, wenn er nicht Wochenſchriften herausgegeben,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/148
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/148>, abgerufen am 08.05.2024.