Im Anfange seines Aufenthalts in Erfurt waren dieser Augenblicke nur wenige -- er übersah das Leben immer mehr im Ganzen -- die Ortsveränderung war noch neu -- seine Einbildungskraft war durch das Immerwie¬ derkehrende noch nicht gefesselt. --
Dies Immerwiederkehrende in den sinnli¬ chen Eindrücken scheint es vorzüglich zu seyn, was die Menschen im Zaum hält, und sie auf einen kleinen Fleck beschränkt. -- Man fühlt sich nach und nach selbst von der Einförmigkeit des Kreises, in welchem man sich umdreht, un¬ widerstehlich angezogen, gewinnt das Alte lieb, und flieht das Neue -- Es scheint eine Art von Frevel, aus dieser Umgebung hinauszutreten, die gleichsam zu einem zweiten Körper von uns geworden ist, in welchen der erstere sich ge¬ fügt hat.
Reisers Wohnung auf der Kirschlache schien auch gerade dazu gemacht zu seyn, um seine Ein¬ bildungskraft aufs neue wieder zu fesseln.
Die Aussicht über die Gärten nach dem Karthäuserkloster hin hatte nehmlich so etwas Romantisches, das Reisern unwiderstehlich an¬
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Im Anfange ſeines Aufenthalts in Erfurt waren dieſer Augenblicke nur wenige — er uͤberſah das Leben immer mehr im Ganzen — die Ortsveraͤnderung war noch neu — ſeine Einbildungskraft war durch das Immerwie¬ derkehrende noch nicht gefeſſelt. —
Dies Immerwiederkehrende in den ſinnli¬ chen Eindruͤcken ſcheint es vorzuͤglich zu ſeyn, was die Menſchen im Zaum haͤlt, und ſie auf einen kleinen Fleck beſchraͤnkt. — Man fuͤhlt ſich nach und nach ſelbſt von der Einfoͤrmigkeit des Kreiſes, in welchem man ſich umdreht, un¬ widerſtehlich angezogen, gewinnt das Alte lieb, und flieht das Neue — Es ſcheint eine Art von Frevel, aus dieſer Umgebung hinauszutreten, die gleichſam zu einem zweiten Koͤrper von uns geworden iſt, in welchen der erſtere ſich ge¬ fuͤgt hat.
Reiſers Wohnung auf der Kirſchlache ſchien auch gerade dazu gemacht zu ſeyn, um ſeine Ein¬ bildungskraft aufs neue wieder zu feſſeln.
Die Ausſicht uͤber die Gaͤrten nach dem Karthaͤuſerkloſter hin hatte nehmlich ſo etwas Romantiſches, das Reiſern unwiderſtehlich an¬
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Im Anfange ſeines Aufenthalts in Erfurt
waren dieſer Augenblicke nur wenige — er
uͤberſah das Leben immer mehr im Ganzen —
die Ortsveraͤnderung war noch neu — ſeine
Einbildungskraft war durch das Immerwie¬
derkehrende noch nicht gefeſſelt. —
Dies Immerwiederkehrende in den ſinnli¬
chen Eindruͤcken ſcheint es vorzuͤglich zu ſeyn,
was die Menſchen im Zaum haͤlt, und ſie auf
einen kleinen Fleck beſchraͤnkt. — Man fuͤhlt
ſich nach und nach ſelbſt von der Einfoͤrmigkeit
des Kreiſes, in welchem man ſich umdreht, un¬
widerſtehlich angezogen, gewinnt das Alte lieb,
und flieht das Neue — Es ſcheint eine Art von
Frevel, aus dieſer Umgebung hinauszutreten,
die gleichſam zu einem zweiten Koͤrper von uns
geworden iſt, in welchen der erſtere ſich ge¬
fuͤgt hat.
Reiſers Wohnung auf der Kirſchlache ſchien
auch gerade dazu gemacht zu ſeyn, um ſeine Ein¬
bildungskraft aufs neue wieder zu feſſeln.
Die Ausſicht uͤber die Gaͤrten nach dem
Karthaͤuſerkloſter hin hatte nehmlich ſo etwas
Romantiſches, das Reiſern unwiderſtehlich an¬
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/129>, abgerufen am 07.07.2024.
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