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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

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mand eine vollkommne Vorstellung machen kann,
der nicht auch einmal in seinem Leben von aller
Hülfe entblößt, und an Körper und Seele ge¬
lähmt ohne Aussicht und ohne Hoffnung war.

In der Freude seines Herzens eilte er in den
Gasthof, wo er die Nacht bleiben wollte, ließ
sich Papier holen, und fing an, seine eigenen
Gedichte, die er auswendig wußte, nacheinan¬
der wieder aufzuschreiben, um sie am andern
Tage dem Doktor Froriep zu bringen, und sich
dadurch einigermaßen seiner Aufmerksamkeit
werth zu zeigen.

Er schrieb bis in die Nacht, und wurde mit
einigen Heften fertig. Am andern Morgen
früh stieg er nun wieder voll ganz anderer Ge¬
danken, als gestern, den Petersberg hinauf;
und der gutmüthige Abt Günther freute sich,
ihn wieder zu sehen, gewährte ihm gern seine
Bitte, und fertigte ihm sogleich die Matrikel
aus, wobei er ihm die akademischen Gesetze ge¬
druckt übergab, und deren Befolgung durch
einen Handschlag sich angeloben ließ.

Diese Matrikel, worauf stand: Universitas
perantiqua
, die Gesetze, der Handschlag, waren

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mand eine vollkommne Vorſtellung machen kann,
der nicht auch einmal in ſeinem Leben von aller
Huͤlfe entbloͤßt, und an Koͤrper und Seele ge¬
laͤhmt ohne Ausſicht und ohne Hoffnung war.

In der Freude ſeines Herzens eilte er in den
Gaſthof, wo er die Nacht bleiben wollte, ließ
ſich Papier holen, und fing an, ſeine eigenen
Gedichte, die er auswendig wußte, nacheinan¬
der wieder aufzuſchreiben, um ſie am andern
Tage dem Doktor Froriep zu bringen, und ſich
dadurch einigermaßen ſeiner Aufmerkſamkeit
werth zu zeigen.

Er ſchrieb bis in die Nacht, und wurde mit
einigen Heften fertig. Am andern Morgen
fruͤh ſtieg er nun wieder voll ganz anderer Ge¬
danken, als geſtern, den Petersberg hinauf;
und der gutmuͤthige Abt Guͤnther freute ſich,
ihn wieder zu ſehen, gewaͤhrte ihm gern ſeine
Bitte, und fertigte ihm ſogleich die Matrikel
aus, wobei er ihm die akademiſchen Geſetze ge¬
druckt uͤbergab, und deren Befolgung durch
einen Handſchlag ſich angeloben ließ.

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perantiqua
, die Geſetze, der Handſchlag, waren

G 5
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[105/0119] mand eine vollkommne Vorſtellung machen kann, der nicht auch einmal in ſeinem Leben von aller Huͤlfe entbloͤßt, und an Koͤrper und Seele ge¬ laͤhmt ohne Ausſicht und ohne Hoffnung war. In der Freude ſeines Herzens eilte er in den Gaſthof, wo er die Nacht bleiben wollte, ließ ſich Papier holen, und fing an, ſeine eigenen Gedichte, die er auswendig wußte, nacheinan¬ der wieder aufzuſchreiben, um ſie am andern Tage dem Doktor Froriep zu bringen, und ſich dadurch einigermaßen ſeiner Aufmerkſamkeit werth zu zeigen. Er ſchrieb bis in die Nacht, und wurde mit einigen Heften fertig. Am andern Morgen fruͤh ſtieg er nun wieder voll ganz anderer Ge¬ danken, als geſtern, den Petersberg hinauf; und der gutmuͤthige Abt Guͤnther freute ſich, ihn wieder zu ſehen, gewaͤhrte ihm gern ſeine Bitte, und fertigte ihm ſogleich die Matrikel aus, wobei er ihm die akademiſchen Geſetze ge¬ druckt uͤbergab, und deren Befolgung durch einen Handſchlag ſich angeloben ließ. Dieſe Matrikel, worauf ſtand: Univerſitas perantiqua, die Geſetze, der Handſchlag, waren G 5

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/119>, abgerufen am 07.05.2024.