Hierher wurden Wallfahrten noch vor Son¬ nenaufgang angestellt -- die beiden Wanderer nahmen sich ihr Frühstück mit, und wenn sie nun im Walde angelangt waren, so beraubten sie eine Menge Baumstämme ihres Mooses, und bereiteten sich einen weichen Sitz, worauf sie sich lagerten, und wenn sie ihr Frühstück ver¬ zehrt hatten, sich einander wechselsweise vorla¬ sen. -- Hierzu wurden besonders Kleists Ge¬ dichte ausgewählt, die sie bei dieser Gelegenheit beinahe auswendig lernten.
Wenn sie dann am andern Tage wieder hin¬ kamen, so suchten sie im ganzen Wäldchen erst ihren gestrigen Platz wieder, und fanden sich nun hier wie zu Hause in der großen freien Na¬ tur, welches ihnen eine ganz besondere herzerhe¬ bende Empfindung war. -- Alles in diesem großen Umkreise um sie her, gehörte ihren Au¬ gen, ihren Ohren, und ihrem Gefühl -- das junge Grüne der Bäume, der Gesang der Vögel und der kühle Morgenduft.
Wenn sie dann wieder heimkehrten, so ging Philipp Reiser in seine Werkstatt, und machte Klaviere, indes Anton Reiser die Schule besuchte,
Hierher wurden Wallfahrten noch vor Son¬ nenaufgang angeſtellt — die beiden Wanderer nahmen ſich ihr Fruͤhſtuͤck mit, und wenn ſie nun im Walde angelangt waren, ſo beraubten ſie eine Menge Baumſtaͤmme ihres Mooſes, und bereiteten ſich einen weichen Sitz, worauf ſie ſich lagerten, und wenn ſie ihr Fruͤhſtuͤck ver¬ zehrt hatten, ſich einander wechſelsweiſe vorla¬ ſen. — Hierzu wurden beſonders Kleiſts Ge¬ dichte ausgewaͤhlt, die ſie bei dieſer Gelegenheit beinahe auswendig lernten.
Wenn ſie dann am andern Tage wieder hin¬ kamen, ſo ſuchten ſie im ganzen Waͤldchen erſt ihren geſtrigen Platz wieder, und fanden ſich nun hier wie zu Hauſe in der großen freien Na¬ tur, welches ihnen eine ganz beſondere herzerhe¬ bende Empfindung war. — Alles in dieſem großen Umkreiſe um ſie her, gehoͤrte ihren Au¬ gen, ihren Ohren, und ihrem Gefuͤhl — das junge Gruͤne der Baͤume, der Geſang der Voͤgel und der kuͤhle Morgenduft.
Wenn ſie dann wieder heimkehrten, ſo ging Philipp Reiſer in ſeine Werkſtatt, und machte Klaviere, indes Anton Reiſer die Schule beſuchte,
<TEI><text><body><pbfacs="#f0085"n="75"/><p>Hierher wurden Wallfahrten noch vor Son¬<lb/>
nenaufgang angeſtellt — die beiden Wanderer<lb/>
nahmen ſich ihr Fruͤhſtuͤck mit, und wenn ſie<lb/>
nun im Walde angelangt waren, ſo beraubten<lb/>ſie eine Menge Baumſtaͤmme ihres Mooſes,<lb/>
und bereiteten ſich einen weichen Sitz, worauf<lb/>ſie ſich lagerten, und wenn ſie ihr Fruͤhſtuͤck ver¬<lb/>
zehrt hatten, ſich einander wechſelsweiſe vorla¬<lb/>ſen. — Hierzu wurden beſonders Kleiſts Ge¬<lb/>
dichte ausgewaͤhlt, die ſie bei dieſer Gelegenheit<lb/>
beinahe auswendig lernten.</p><lb/><p>Wenn ſie dann am andern Tage wieder hin¬<lb/>
kamen, ſo ſuchten ſie im ganzen Waͤldchen erſt<lb/>
ihren geſtrigen Platz wieder, und fanden ſich<lb/>
nun hier wie <hirendition="#fr">zu Hauſe</hi> in der großen freien Na¬<lb/>
tur, welches ihnen eine ganz beſondere herzerhe¬<lb/>
bende Empfindung war. — Alles in dieſem<lb/>
großen Umkreiſe um ſie her, gehoͤrte ihren Au¬<lb/>
gen, ihren Ohren, und ihrem Gefuͤhl — das<lb/>
junge Gruͤne der Baͤume, der Geſang der Voͤgel<lb/>
und der kuͤhle Morgenduft.</p><lb/><p>Wenn ſie dann wieder heimkehrten, ſo ging<lb/>
Philipp Reiſer in ſeine Werkſtatt, und machte<lb/>
Klaviere, indes Anton Reiſer die Schule beſuchte,<lb/></p></body></text></TEI>
[75/0085]
Hierher wurden Wallfahrten noch vor Son¬
nenaufgang angeſtellt — die beiden Wanderer
nahmen ſich ihr Fruͤhſtuͤck mit, und wenn ſie
nun im Walde angelangt waren, ſo beraubten
ſie eine Menge Baumſtaͤmme ihres Mooſes,
und bereiteten ſich einen weichen Sitz, worauf
ſie ſich lagerten, und wenn ſie ihr Fruͤhſtuͤck ver¬
zehrt hatten, ſich einander wechſelsweiſe vorla¬
ſen. — Hierzu wurden beſonders Kleiſts Ge¬
dichte ausgewaͤhlt, die ſie bei dieſer Gelegenheit
beinahe auswendig lernten.
Wenn ſie dann am andern Tage wieder hin¬
kamen, ſo ſuchten ſie im ganzen Waͤldchen erſt
ihren geſtrigen Platz wieder, und fanden ſich
nun hier wie zu Hauſe in der großen freien Na¬
tur, welches ihnen eine ganz beſondere herzerhe¬
bende Empfindung war. — Alles in dieſem
großen Umkreiſe um ſie her, gehoͤrte ihren Au¬
gen, ihren Ohren, und ihrem Gefuͤhl — das
junge Gruͤne der Baͤume, der Geſang der Voͤgel
und der kuͤhle Morgenduft.
Wenn ſie dann wieder heimkehrten, ſo ging
Philipp Reiſer in ſeine Werkſtatt, und machte
Klaviere, indes Anton Reiſer die Schule beſuchte,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/85>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.