Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

mit einem Blick umfassenden Wesen, konnte
er sich kein wahres Individuum denken. --

Am Ende seiner Untersuchungen dünkte ihm
sein eignes Daseyn, eine bloße Täuschung,
eine abstrakte Idee -- ein Zusammenfassen
der Aehnlichkeiten, die jeder folgende Moment in
seinem Leben mit dem entschwundenen hatte. --
Durch diese Begriffe von seiner eignen Einge¬
schränktheit, veredelten sich seine Begriffe von
der Gottheit -- er fing an, nun in diesem großen
Begriffe, sein eignes Daseyn zu fühlen, das ihm
ohnedem unter den Händen zu verschwinden,
ohne Zweck, abgerissen, und zerstückt zu seyn
schien. -- --

Aus diesen Reflexionen bildete sich der erste
schriftliche Aufsatz, den er entwarf, und dem er
die Form eines Briefes an seinen Freund gab,
mit welchem er sich über diese Materie oft zu un¬
terreden pflegte, und der ihn wenigstens immer
zu verstehen schien. -- --

Dabei dauerten seine Kopfschmerzen immer
fort -- allein er gewöhnte sich zuletzt so daran,
daß ihm sein Zustand ordentlich gefährlich oder

mit einem Blick umfaſſenden Weſen, konnte
er ſich kein wahres Individuum denken. —

Am Ende ſeiner Unterſuchungen duͤnkte ihm
ſein eignes Daſeyn, eine bloße Taͤuſchung,
eine abſtrakte Idee — ein Zuſammenfaſſen
der Aehnlichkeiten, die jeder folgende Moment in
ſeinem Leben mit dem entſchwundenen hatte. —
Durch dieſe Begriffe von ſeiner eignen Einge¬
ſchraͤnktheit, veredelten ſich ſeine Begriffe von
der Gottheit — er fing an, nun in dieſem großen
Begriffe, ſein eignes Daſeyn zu fuͤhlen, das ihm
ohnedem unter den Haͤnden zu verſchwinden,
ohne Zweck, abgeriſſen, und zerſtuͤckt zu ſeyn
ſchien. — —

Aus dieſen Reflexionen bildete ſich der erſte
ſchriftliche Aufſatz, den er entwarf, und dem er
die Form eines Briefes an ſeinen Freund gab,
mit welchem er ſich uͤber dieſe Materie oft zu un¬
terreden pflegte, und der ihn wenigſtens immer
zu verſtehen ſchien. — —

Dabei dauerten ſeine Kopfſchmerzen immer
fort — allein er gewoͤhnte ſich zuletzt ſo daran,
daß ihm ſein Zuſtand ordentlich gefaͤhrlich oder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0064" n="54"/><hi rendition="#fr">mit einem Blick umfa&#x017F;&#x017F;enden We&#x017F;en</hi>, konnte<lb/>
er &#x017F;ich kein wahres Individuum denken. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Am Ende &#x017F;einer Unter&#x017F;uchungen du&#x0364;nkte ihm<lb/>
&#x017F;ein eignes Da&#x017F;eyn, eine <hi rendition="#fr">bloße Ta&#x0364;u&#x017F;chung</hi>,<lb/>
eine <hi rendition="#fr">ab&#x017F;trakte Idee</hi> &#x2014; ein Zu&#x017F;ammenfa&#x017F;&#x017F;en<lb/>
der Aehnlichkeiten, die jeder folgende Moment in<lb/>
&#x017F;einem Leben mit dem ent&#x017F;chwundenen hatte. &#x2014;<lb/>
Durch die&#x017F;e Begriffe von &#x017F;einer eignen Einge¬<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nktheit, veredelten &#x017F;ich &#x017F;eine Begriffe von<lb/>
der Gottheit &#x2014; er fing an, nun in die&#x017F;em großen<lb/>
Begriffe, &#x017F;ein eignes Da&#x017F;eyn zu fu&#x0364;hlen, das ihm<lb/>
ohnedem unter den Ha&#x0364;nden zu ver&#x017F;chwinden,<lb/>
ohne Zweck, abgeri&#x017F;&#x017F;en, und zer&#x017F;tu&#x0364;ckt zu &#x017F;eyn<lb/>
&#x017F;chien. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
      <p>Aus die&#x017F;en Reflexionen bildete &#x017F;ich der er&#x017F;te<lb/>
&#x017F;chriftliche Auf&#x017F;atz, den er entwarf, und dem er<lb/>
die Form eines Briefes an &#x017F;einen Freund gab,<lb/>
mit welchem er &#x017F;ich u&#x0364;ber die&#x017F;e Materie oft zu un¬<lb/>
terreden pflegte, und der ihn wenig&#x017F;tens immer<lb/>
zu ver&#x017F;tehen &#x017F;chien. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
      <p>Dabei dauerten &#x017F;eine Kopf&#x017F;chmerzen immer<lb/>
fort &#x2014; allein er gewo&#x0364;hnte &#x017F;ich zuletzt &#x017F;o daran,<lb/>
daß ihm &#x017F;ein Zu&#x017F;tand ordentlich gefa&#x0364;hrlich oder<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0064] mit einem Blick umfaſſenden Weſen, konnte er ſich kein wahres Individuum denken. — Am Ende ſeiner Unterſuchungen duͤnkte ihm ſein eignes Daſeyn, eine bloße Taͤuſchung, eine abſtrakte Idee — ein Zuſammenfaſſen der Aehnlichkeiten, die jeder folgende Moment in ſeinem Leben mit dem entſchwundenen hatte. — Durch dieſe Begriffe von ſeiner eignen Einge¬ ſchraͤnktheit, veredelten ſich ſeine Begriffe von der Gottheit — er fing an, nun in dieſem großen Begriffe, ſein eignes Daſeyn zu fuͤhlen, das ihm ohnedem unter den Haͤnden zu verſchwinden, ohne Zweck, abgeriſſen, und zerſtuͤckt zu ſeyn ſchien. — — Aus dieſen Reflexionen bildete ſich der erſte ſchriftliche Aufſatz, den er entwarf, und dem er die Form eines Briefes an ſeinen Freund gab, mit welchem er ſich uͤber dieſe Materie oft zu un¬ terreden pflegte, und der ihn wenigſtens immer zu verſtehen ſchien. — — Dabei dauerten ſeine Kopfſchmerzen immer fort — allein er gewoͤhnte ſich zuletzt ſo daran, daß ihm ſein Zuſtand ordentlich gefaͤhrlich oder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/64
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/64>, abgerufen am 24.11.2024.