schen in eins zusammen zu fließen -- da war nichts mehr, das sie absonderte und von einan¬ der trennte -- er dachte sich den übrig geblie¬ benen und in der Luft herumfliegenden Verstand eines Menschen, der bald in seiner Vorstellungskraft zerftatterte. --
Und dann schien ihm aus der ungeheuren Menschenmasse wieder eine so ungeheure un¬ förmliche Seelenmasse zu entstehen -- wo er immer nicht einsahe, warum gerade so viel und nicht mehr und nicht weniger da wä¬ ren, und weil die Zahl ins Unendliche fort¬ zugehen schien, das einzelne endlich fast so unbedeutend wienichtswurde.
Diese Unbedeutsamkeit, diß Verlieren unter der Menge, war es vorzüglich, was ihm oft sein Daseyn lästig machte.
Nun ging er einmal eines Abends traurig und mißmuthig auf der Straße umher -- es war schon in der Dämmerung, aber doch nicht so dunkel, daß er nicht von einigen Leuten hätte ge¬ sehen werden können, deren Anblick ihm uner¬ träglich war, weil er ihnen ein Gegenstand des Spottes und der Verachtung zu seyn glaubte. --
ſchen in eins zuſammen zu fließen — da war nichts mehr, das ſie abſonderte und von einan¬ der trennte — er dachte ſich den uͤbrig geblie¬ benen und in der Luft herumfliegenden Verſtand eines Menſchen, der bald in ſeiner Vorſtellungskraft zerftatterte. —
Und dann ſchien ihm aus der ungeheuren Menſchenmaſſe wieder eine ſo ungeheure un¬ foͤrmliche Seelenmaſſe zu entſtehen — wo er immer nicht einſahe, warum gerade ſo viel und nicht mehr und nicht weniger da waͤ¬ ren, und weil die Zahl ins Unendliche fort¬ zugehen ſchien, das einzelne endlich faſt ſo unbedeutend wienichtswurde.
Dieſe Unbedeutſamkeit, diß Verlieren unter der Menge, war es vorzuͤglich, was ihm oft ſein Daſeyn laͤſtig machte.
Nun ging er einmal eines Abends traurig und mißmuthig auf der Straße umher — es war ſchon in der Daͤmmerung, aber doch nicht ſo dunkel, daß er nicht von einigen Leuten haͤtte ge¬ ſehen werden koͤnnen, deren Anblick ihm uner¬ traͤglich war, weil er ihnen ein Gegenſtand des Spottes und der Verachtung zu ſeyn glaubte. —
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ſchen in eins zuſammen zu fließen — da war
nichts mehr, das ſie abſonderte und von einan¬
der trennte — er dachte ſich den uͤbrig geblie¬
benen und in der Luft herumfliegenden
Verſtand eines Menſchen, der bald in ſeiner
Vorſtellungskraft zerftatterte. —
Und dann ſchien ihm aus der ungeheuren
Menſchenmaſſe wieder eine ſo ungeheure un¬
foͤrmliche Seelenmaſſe zu entſtehen — wo er
immer nicht einſahe, warum gerade ſo viel
und nicht mehr und nicht weniger da waͤ¬
ren, und weil die Zahl ins Unendliche fort¬
zugehen ſchien, das einzelne endlich faſt ſo
unbedeutend wie nichts wurde.
Dieſe Unbedeutſamkeit, diß Verlieren
unter der Menge, war es vorzuͤglich, was ihm
oft ſein Daſeyn laͤſtig machte.
Nun ging er einmal eines Abends traurig
und mißmuthig auf der Straße umher — es war
ſchon in der Daͤmmerung, aber doch nicht ſo
dunkel, daß er nicht von einigen Leuten haͤtte ge¬
ſehen werden koͤnnen, deren Anblick ihm uner¬
traͤglich war, weil er ihnen ein Gegenſtand des
Spottes und der Verachtung zu ſeyn glaubte. —
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/54>, abgerufen am 22.07.2024.
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