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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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an der Landstraße setzte, sein Dintenfaß, das mit
einem Stachel versehen war, vor sich in die Erde
pflanzte, und auf diese Weise halbliegend anfing,
in seinem Journal zu schreiben -- es fuhren un¬
ten einige Kutschen vorbei, und die Leute, denen
ein schreibender Mensch auf einem Hügel an der
Landstraße freilich ein sonderbarer Anblick seyn
mußte, lehnten sich weit aus dem Schlage, um
ihn zu betrachten -- dieß beschämte ihn etwas --
aber er erhohlte sich bald wieder von der unan¬
genehmen Wirkung, die dieß neugierige Angaffen
zuerst auf ihn that, indem er sich in Ansehung
dieser Menschen, die ihn nicht kannten, seine
Existenz hinwegdachte -- er war für diese
Menschen gleichsam todt -- darum schloß er
auch den Aufsatz, welchen er auf dem Hügel an
der Landstraße in sein Taschenbuch schrieb, mit
den Worten:

Was kümmert mich der Leute Thun,
Wenn ich im Grabe bin?
Und nun setzte er seinen Stab weiter fort, kam
am Abend in der Dämmerung vor dem Dorfe,
wo seine Eltern wohnten, dicht vorbei, erkun¬
digte sich nach dem nächsten Dorfe, das auf dem

Wege

an der Landſtraße ſetzte, ſein Dintenfaß, das mit
einem Stachel verſehen war, vor ſich in die Erde
pflanzte, und auf dieſe Weiſe halbliegend anfing,
in ſeinem Journal zu ſchreiben — es fuhren un¬
ten einige Kutſchen vorbei, und die Leute, denen
ein ſchreibender Menſch auf einem Huͤgel an der
Landſtraße freilich ein ſonderbarer Anblick ſeyn
mußte, lehnten ſich weit aus dem Schlage, um
ihn zu betrachten — dieß beſchaͤmte ihn etwas —
aber er erhohlte ſich bald wieder von der unan¬
genehmen Wirkung, die dieß neugierige Angaffen
zuerſt auf ihn that, indem er ſich in Anſehung
dieſer Menſchen, die ihn nicht kannten, ſeine
Exiſtenz hinwegdachte — er war fuͤr dieſe
Menſchen gleichſam todt — darum ſchloß er
auch den Aufſatz, welchen er auf dem Huͤgel an
der Landſtraße in ſein Taſchenbuch ſchrieb, mit
den Worten:

Was kuͤmmert mich der Leute Thun,
Wenn ich im Grabe bin?
Und nun ſetzte er ſeinen Stab weiter fort, kam
am Abend in der Daͤmmerung vor dem Dorfe,
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[160/0170] an der Landſtraße ſetzte, ſein Dintenfaß, das mit einem Stachel verſehen war, vor ſich in die Erde pflanzte, und auf dieſe Weiſe halbliegend anfing, in ſeinem Journal zu ſchreiben — es fuhren un¬ ten einige Kutſchen vorbei, und die Leute, denen ein ſchreibender Menſch auf einem Huͤgel an der Landſtraße freilich ein ſonderbarer Anblick ſeyn mußte, lehnten ſich weit aus dem Schlage, um ihn zu betrachten — dieß beſchaͤmte ihn etwas — aber er erhohlte ſich bald wieder von der unan¬ genehmen Wirkung, die dieß neugierige Angaffen zuerſt auf ihn that, indem er ſich in Anſehung dieſer Menſchen, die ihn nicht kannten, ſeine Exiſtenz hinwegdachte — er war fuͤr dieſe Menſchen gleichſam todt — darum ſchloß er auch den Aufſatz, welchen er auf dem Huͤgel an der Landſtraße in ſein Taſchenbuch ſchrieb, mit den Worten: Was kuͤmmert mich der Leute Thun, Wenn ich im Grabe bin? Und nun ſetzte er ſeinen Stab weiter fort, kam am Abend in der Daͤmmerung vor dem Dorfe, wo ſeine Eltern wohnten, dicht vorbei, erkun¬ digte ſich nach dem naͤchſten Dorfe, das auf dem Wege

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/170>, abgerufen am 24.11.2024.