ken, mit Unterlassung des Guten und Begehung des Bösen.
Die Sünden nun, deren er sich schuldig glaub¬ te, waren vorzüglich Unterlassungssünden. Er betete nicht andächtig gnug, liebte Gott nicht eif¬ rig gnug, fühlte nicht Dankbarkeit gnug gegen seine Wohlthäter, und empfand kein freudiges Zittern, da er zum Abendmahle gieng. -- Diß alles ging ihm nun nahe, aber er konnte es doch mit Zwang nicht abhelfen, darum war es ihm in so fern recht lieb, daß ihm für diese Verge¬ hungen von dem Pastor M. . . die Absolution er¬ theilet wurde.
Dabei blieb er aber doch immer mit sich sel¬ ber unzufrieden: denn zu der Gottseligkeit und Frömmigkeit rechnete er vorzüglich die Aufmerk¬ samkeit auf jeden seiner Schritte und Tritte, auf jedes Lächeln, und auf jede Miene, auf jedes Wort, das er sprach, und auf jeden Gedanken, den er dachte. -- Diese Aufmerksamkeit mußte nun natürlicher Weise sehr oft unterbrochen wer¬ den, und konnte nicht wohl über eine Stunde in einem fortdauren -- sobald nun Reiser seine Zerstreuung merkte, ward er unzufrieden mit sich
ken, mit Unterlaſſung des Guten und Begehung des Boͤſen.
Die Suͤnden nun, deren er ſich ſchuldig glaub¬ te, waren vorzuͤglich Unterlaſſungsſuͤnden. Er betete nicht andaͤchtig gnug, liebte Gott nicht eif¬ rig gnug, fuͤhlte nicht Dankbarkeit gnug gegen ſeine Wohlthaͤter, und empfand kein freudiges Zittern, da er zum Abendmahle gieng. — Diß alles ging ihm nun nahe, aber er konnte es doch mit Zwang nicht abhelfen, darum war es ihm in ſo fern recht lieb, daß ihm fuͤr dieſe Verge¬ hungen von dem Paſtor M. . . die Abſolution er¬ theilet wurde.
Dabei blieb er aber doch immer mit ſich ſel¬ ber unzufrieden: denn zu der Gottſeligkeit und Froͤmmigkeit rechnete er vorzuͤglich die Aufmerk¬ ſamkeit auf jeden ſeiner Schritte und Tritte, auf jedes Laͤcheln, und auf jede Miene, auf jedes Wort, das er ſprach, und auf jeden Gedanken, den er dachte. — Dieſe Aufmerkſamkeit mußte nun natuͤrlicher Weiſe ſehr oft unterbrochen wer¬ den, und konnte nicht wohl uͤber eine Stunde in einem fortdauren — ſobald nun Reiſer ſeine Zerſtreuung merkte, ward er unzufrieden mit ſich
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ken, mit Unterlaſſung des Guten und Begehung
des Boͤſen.
Die Suͤnden nun, deren er ſich ſchuldig glaub¬
te, waren vorzuͤglich Unterlaſſungsſuͤnden. Er
betete nicht andaͤchtig gnug, liebte Gott nicht eif¬
rig gnug, fuͤhlte nicht Dankbarkeit gnug gegen
ſeine Wohlthaͤter, und empfand kein freudiges
Zittern, da er zum Abendmahle gieng. — Diß
alles ging ihm nun nahe, aber er konnte es doch
mit Zwang nicht abhelfen, darum war es ihm
in ſo fern recht lieb, daß ihm fuͤr dieſe Verge¬
hungen von dem Paſtor M. . . die Abſolution er¬
theilet wurde.
Dabei blieb er aber doch immer mit ſich ſel¬
ber unzufrieden: denn zu der Gottſeligkeit und
Froͤmmigkeit rechnete er vorzuͤglich die Aufmerk¬
ſamkeit auf jeden ſeiner Schritte und Tritte, auf
jedes Laͤcheln, und auf jede Miene, auf jedes
Wort, das er ſprach, und auf jeden Gedanken,
den er dachte. — Dieſe Aufmerkſamkeit mußte
nun natuͤrlicher Weiſe ſehr oft unterbrochen wer¬
den, und konnte nicht wohl uͤber eine Stunde
in einem fortdauren — ſobald nun Reiſer ſeine
Zerſtreuung merkte, ward er unzufrieden mit ſich
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/54>, abgerufen am 16.07.2024.
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