Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

ken, mit Unterlassung des Guten und Begehung
des Bösen.

Die Sünden nun, deren er sich schuldig glaub¬
te, waren vorzüglich Unterlassungssünden. Er
betete nicht andächtig gnug, liebte Gott nicht eif¬
rig gnug, fühlte nicht Dankbarkeit gnug gegen
seine Wohlthäter, und empfand kein freudiges
Zittern, da er zum Abendmahle gieng. -- Diß
alles ging ihm nun nahe, aber er konnte es doch
mit Zwang nicht abhelfen, darum war es ihm
in so fern recht lieb, daß ihm für diese Verge¬
hungen von dem Pastor M. . . die Absolution er¬
theilet wurde.

Dabei blieb er aber doch immer mit sich sel¬
ber unzufrieden: denn zu der Gottseligkeit und
Frömmigkeit rechnete er vorzüglich die Aufmerk¬
samkeit auf jeden seiner Schritte und Tritte, auf
jedes Lächeln, und auf jede Miene, auf jedes
Wort, das er sprach, und auf jeden Gedanken,
den er dachte. -- Diese Aufmerksamkeit mußte
nun natürlicher Weise sehr oft unterbrochen wer¬
den, und konnte nicht wohl über eine Stunde
in einem fortdauren -- sobald nun Reiser seine
Zerstreuung merkte, ward er unzufrieden mit sich

ken, mit Unterlaſſung des Guten und Begehung
des Boͤſen.

Die Suͤnden nun, deren er ſich ſchuldig glaub¬
te, waren vorzuͤglich Unterlaſſungsſuͤnden. Er
betete nicht andaͤchtig gnug, liebte Gott nicht eif¬
rig gnug, fuͤhlte nicht Dankbarkeit gnug gegen
ſeine Wohlthaͤter, und empfand kein freudiges
Zittern, da er zum Abendmahle gieng. — Diß
alles ging ihm nun nahe, aber er konnte es doch
mit Zwang nicht abhelfen, darum war es ihm
in ſo fern recht lieb, daß ihm fuͤr dieſe Verge¬
hungen von dem Paſtor M. . . die Abſolution er¬
theilet wurde.

Dabei blieb er aber doch immer mit ſich ſel¬
ber unzufrieden: denn zu der Gottſeligkeit und
Froͤmmigkeit rechnete er vorzuͤglich die Aufmerk¬
ſamkeit auf jeden ſeiner Schritte und Tritte, auf
jedes Laͤcheln, und auf jede Miene, auf jedes
Wort, das er ſprach, und auf jeden Gedanken,
den er dachte. — Dieſe Aufmerkſamkeit mußte
nun natuͤrlicher Weiſe ſehr oft unterbrochen wer¬
den, und konnte nicht wohl uͤber eine Stunde
in einem fortdauren — ſobald nun Reiſer ſeine
Zerſtreuung merkte, ward er unzufrieden mit ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0054" n="44"/>
ken, mit Unterla&#x017F;&#x017F;ung des Guten und Begehung<lb/>
des Bo&#x0364;&#x017F;en.</p><lb/>
      <p>Die Su&#x0364;nden nun, deren er &#x017F;ich &#x017F;chuldig glaub¬<lb/>
te, waren vorzu&#x0364;glich Unterla&#x017F;&#x017F;ungs&#x017F;u&#x0364;nden. Er<lb/>
betete nicht anda&#x0364;chtig gnug, liebte Gott nicht eif¬<lb/>
rig gnug, fu&#x0364;hlte nicht Dankbarkeit gnug gegen<lb/>
&#x017F;eine Wohltha&#x0364;ter, und empfand <choice><sic>keiu</sic><corr>kein</corr></choice> freudiges<lb/>
Zittern, da er zum Abendmahle gieng. &#x2014; Diß<lb/>
alles ging ihm nun nahe, aber er konnte es doch<lb/>
mit Zwang nicht abhelfen, darum war es ihm<lb/>
in &#x017F;o fern recht lieb, daß ihm fu&#x0364;r die&#x017F;e Verge¬<lb/>
hungen von dem Pa&#x017F;tor M. . . die Ab&#x017F;olution er¬<lb/>
theilet wurde.</p><lb/>
      <p>Dabei blieb er aber doch immer mit &#x017F;ich &#x017F;el¬<lb/>
ber unzufrieden: denn zu der Gott&#x017F;eligkeit und<lb/>
Fro&#x0364;mmigkeit rechnete er vorzu&#x0364;glich die Aufmerk¬<lb/>
&#x017F;amkeit auf jeden &#x017F;einer Schritte und Tritte, auf<lb/>
jedes La&#x0364;cheln, <choice><sic>uud</sic><corr>und</corr></choice> auf jede Miene, auf jedes<lb/>
Wort, das er &#x017F;prach, und auf jeden Gedanken,<lb/>
den er dachte. &#x2014; Die&#x017F;e Aufmerk&#x017F;amkeit mußte<lb/>
nun natu&#x0364;rlicher Wei&#x017F;e &#x017F;ehr oft unterbrochen wer¬<lb/>
den, und konnte nicht wohl u&#x0364;ber eine Stunde<lb/>
in einem fortdauren &#x2014; &#x017F;obald nun Rei&#x017F;er &#x017F;eine<lb/>
Zer&#x017F;treuung <choice><sic>merkre</sic><corr>merkte</corr></choice>, ward er unzufrieden mit &#x017F;ich<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[44/0054] ken, mit Unterlaſſung des Guten und Begehung des Boͤſen. Die Suͤnden nun, deren er ſich ſchuldig glaub¬ te, waren vorzuͤglich Unterlaſſungsſuͤnden. Er betete nicht andaͤchtig gnug, liebte Gott nicht eif¬ rig gnug, fuͤhlte nicht Dankbarkeit gnug gegen ſeine Wohlthaͤter, und empfand kein freudiges Zittern, da er zum Abendmahle gieng. — Diß alles ging ihm nun nahe, aber er konnte es doch mit Zwang nicht abhelfen, darum war es ihm in ſo fern recht lieb, daß ihm fuͤr dieſe Verge¬ hungen von dem Paſtor M. . . die Abſolution er¬ theilet wurde. Dabei blieb er aber doch immer mit ſich ſel¬ ber unzufrieden: denn zu der Gottſeligkeit und Froͤmmigkeit rechnete er vorzuͤglich die Aufmerk¬ ſamkeit auf jeden ſeiner Schritte und Tritte, auf jedes Laͤcheln, und auf jede Miene, auf jedes Wort, das er ſprach, und auf jeden Gedanken, den er dachte. — Dieſe Aufmerkſamkeit mußte nun natuͤrlicher Weiſe ſehr oft unterbrochen wer¬ den, und konnte nicht wohl uͤber eine Stunde in einem fortdauren — ſobald nun Reiſer ſeine Zerſtreuung merkte, ward er unzufrieden mit ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/54
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/54>, abgerufen am 04.05.2024.