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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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selber, und hielt es am Ende beinahe für unmög¬
lich, ein ordentlich gottseliges und frommes Le¬
ben zu führen.

Die Frau F... hielt ihm an dem Tage, da er
zum Abendmahl gieng, eine lange Predigt über
die bösen Lüste und Begierden, die in diesem Alter
zu erwachen pflegten, und wogegen er nun käm¬
pfen müsse. Zum Glück verstand Reiser nicht,
was sie eigentlich damit meinte, und wagte es
auch nicht, sich genauer darnach zu erkundigen,
sondern nahm sich nur fest vor, wenn böse Lüste
in ihm erwachen sollten, sie möchten auch seyn
von welcher Art sie wollten, ritterlich dagegen
anzukämpfen.

Er hatte bei seinem Religionsunterricht auf
dem Seminarium zwar schon von allerlei Sün¬
den gehört, wovon er sich nie einen rechten Be¬
griff machen konnte, als von Sodomiterei, stum¬
me Sünden, und dem Laster der Selbstbefleckung,
welche alle bei der Erklärung des sechsten Gebots
genannt wurden, und die er sich sogar aufgeschrie¬
ben hatte. Aber die Nahmen waren auch alles,
was er davon wußte; denn zum Glück hatte der
Inspektor diese Sünden mit so fürchterlichen

ſelber, und hielt es am Ende beinahe fuͤr unmoͤg¬
lich, ein ordentlich gottſeliges und frommes Le¬
ben zu fuͤhren.

Die Frau F... hielt ihm an dem Tage, da er
zum Abendmahl gieng, eine lange Predigt uͤber
die boͤſen Luͤſte und Begierden, die in dieſem Alter
zu erwachen pflegten, und wogegen er nun kaͤm¬
pfen muͤſſe. Zum Gluͤck verſtand Reiſer nicht,
was ſie eigentlich damit meinte, und wagte es
auch nicht, ſich genauer darnach zu erkundigen,
ſondern nahm ſich nur feſt vor, wenn boͤſe Luͤſte
in ihm erwachen ſollten, ſie moͤchten auch ſeyn
von welcher Art ſie wollten, ritterlich dagegen
anzukaͤmpfen.

Er hatte bei ſeinem Religionsunterricht auf
dem Seminarium zwar ſchon von allerlei Suͤn¬
den gehoͤrt, wovon er ſich nie einen rechten Be¬
griff machen konnte, als von Sodomiterei, ſtum¬
me Suͤnden, und dem Laſter der Selbſtbefleckung,
welche alle bei der Erklaͤrung des ſechſten Gebots
genannt wurden, und die er ſich ſogar aufgeſchrie¬
ben hatte. Aber die Nahmen waren auch alles,
was er davon wußte; denn zum Gluͤck hatte der
Inſpektor dieſe Suͤnden mit ſo fuͤrchterlichen

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[45/0055] ſelber, und hielt es am Ende beinahe fuͤr unmoͤg¬ lich, ein ordentlich gottſeliges und frommes Le¬ ben zu fuͤhren. Die Frau F... hielt ihm an dem Tage, da er zum Abendmahl gieng, eine lange Predigt uͤber die boͤſen Luͤſte und Begierden, die in dieſem Alter zu erwachen pflegten, und wogegen er nun kaͤm¬ pfen muͤſſe. Zum Gluͤck verſtand Reiſer nicht, was ſie eigentlich damit meinte, und wagte es auch nicht, ſich genauer darnach zu erkundigen, ſondern nahm ſich nur feſt vor, wenn boͤſe Luͤſte in ihm erwachen ſollten, ſie moͤchten auch ſeyn von welcher Art ſie wollten, ritterlich dagegen anzukaͤmpfen. Er hatte bei ſeinem Religionsunterricht auf dem Seminarium zwar ſchon von allerlei Suͤn¬ den gehoͤrt, wovon er ſich nie einen rechten Be¬ griff machen konnte, als von Sodomiterei, ſtum¬ me Suͤnden, und dem Laſter der Selbſtbefleckung, welche alle bei der Erklaͤrung des ſechſten Gebots genannt wurden, und die er ſich ſogar aufgeſchrie¬ ben hatte. Aber die Nahmen waren auch alles, was er davon wußte; denn zum Gluͤck hatte der Inſpektor dieſe Suͤnden mit ſo fuͤrchterlichen

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/55>, abgerufen am 06.05.2024.