Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

habt, was man bei manchen jungen Leuten ein
insinuantes Wesen nennt. Allein zu einem sol¬
chen insinuanten Wesen gehört ein gewisses Selbst¬
zutrauen, das ihm von Kindheit auf war benom¬
men worden; um sich gefällig zu machen, muß
man vorher den Gedanken haben, daß man auch
gefallen könne. -- Reisers Selbstzutrauen mu߬
te erst durch zuvorkommende Güte geweckt wer¬
den, ehe er es wagte, sich beliebt zu machen. --
Und wo er nur einen Schein von Unzufrieden¬
heit andrer mit ihm bemerkte, da war er sehr
geneigt, an der Möglichkeit zu verzweifeln, je¬
mals ein Gegenstand ihrer Liebe oder ihrer Ach¬
tung zu werden. Darum gehörte gewiß ein gros¬
ser Grad von Anstrengung bei ihm dazu, sich sel¬
ber Personen als einen Gegenstand ihrer Auf¬
merksamkeit vorzustellen, von denen er noch nicht
wußte, wie sie seine Zudringlichkeit aufnehmen
würden.

Seine Baase prophezeite ihm sehr oft, wie
ihm der Mangel jenes insinuanten Wesens an
seinem Fortkommen in der Welt schaden würde.
Sie lehrte ihn, wie er mit der Frau F. . . spre¬
chen, und ihr sagen solle: "liebe Frau F. . ., seyn

B 5

habt, was man bei manchen jungen Leuten ein
inſinuantes Weſen nennt. Allein zu einem ſol¬
chen inſinuanten Weſen gehoͤrt ein gewiſſes Selbſt¬
zutrauen, das ihm von Kindheit auf war benom¬
men worden; um ſich gefaͤllig zu machen, muß
man vorher den Gedanken haben, daß man auch
gefallen koͤnne. — Reiſers Selbſtzutrauen mu߬
te erſt durch zuvorkommende Guͤte geweckt wer¬
den, ehe er es wagte, ſich beliebt zu machen. —
Und wo er nur einen Schein von Unzufrieden¬
heit andrer mit ihm bemerkte, da war er ſehr
geneigt, an der Moͤglichkeit zu verzweifeln, je¬
mals ein Gegenſtand ihrer Liebe oder ihrer Ach¬
tung zu werden. Darum gehoͤrte gewiß ein groſ¬
ſer Grad von Anſtrengung bei ihm dazu, ſich ſel¬
ber Perſonen als einen Gegenſtand ihrer Auf¬
merkſamkeit vorzuſtellen, von denen er noch nicht
wußte, wie ſie ſeine Zudringlichkeit aufnehmen
wuͤrden.

Seine Baaſe prophezeite ihm ſehr oft, wie
ihm der Mangel jenes inſinuanten Weſens an
ſeinem Fortkommen in der Welt ſchaden wuͤrde.
Sie lehrte ihn, wie er mit der Frau F. . . ſpre¬
chen, und ihr ſagen ſolle: „liebe Frau F. . ., ſeyn

B 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0035" n="25"/>
habt, was man bei manchen jungen Leuten ein<lb/><hi rendition="#fr">in&#x017F;inuantes We&#x017F;en</hi> nennt. Allein zu einem &#x017F;ol¬<lb/>
chen in&#x017F;inuanten We&#x017F;en geho&#x0364;rt ein gewi&#x017F;&#x017F;es Selb&#x017F;<lb/>
zutrauen, das ihm von Kindheit auf war benom¬<lb/>
men worden; um &#x017F;ich gefa&#x0364;llig zu machen, muß<lb/>
man vorher den Gedanken haben, daß man auch<lb/>
gefallen ko&#x0364;nne. &#x2014; Rei&#x017F;ers Selb&#x017F;tzutrauen mu߬<lb/>
te er&#x017F;t durch zuvorkommende Gu&#x0364;te geweckt wer¬<lb/>
den, ehe er es <hi rendition="#fr">wagte</hi>, &#x017F;ich beliebt zu machen. &#x2014;<lb/>
Und wo er nur einen Schein von Unzufrieden¬<lb/>
heit andrer mit ihm bemerkte, da war er &#x017F;ehr<lb/>
geneigt, an der Mo&#x0364;glichkeit zu verzweifeln, je¬<lb/>
mals ein Gegen&#x017F;tand ihrer Liebe oder ihrer Ach¬<lb/>
tung zu werden. Darum geho&#x0364;rte gewiß ein gro&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;er Grad von An&#x017F;trengung bei ihm dazu, &#x017F;ich &#x017F;el¬<lb/>
ber Per&#x017F;onen als einen Gegen&#x017F;tand ihrer Auf¬<lb/>
merk&#x017F;amkeit vorzu&#x017F;tellen, von denen er noch nicht<lb/>
wußte, wie &#x017F;ie &#x017F;eine Zudringlichkeit aufnehmen<lb/>
wu&#x0364;rden.</p><lb/>
      <p>Seine Baa&#x017F;e prophezeite ihm &#x017F;ehr oft, wie<lb/>
ihm der Mangel jenes in&#x017F;inuanten We&#x017F;ens an<lb/>
&#x017F;einem Fortkommen in der Welt &#x017F;chaden wu&#x0364;rde.<lb/>
Sie lehrte ihn, wie er mit der Frau F. . . &#x017F;pre¬<lb/>
chen, und ihr &#x017F;agen &#x017F;olle: &#x201E;liebe Frau F. . ., &#x017F;eyn<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 5<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0035] habt, was man bei manchen jungen Leuten ein inſinuantes Weſen nennt. Allein zu einem ſol¬ chen inſinuanten Weſen gehoͤrt ein gewiſſes Selbſt¬ zutrauen, das ihm von Kindheit auf war benom¬ men worden; um ſich gefaͤllig zu machen, muß man vorher den Gedanken haben, daß man auch gefallen koͤnne. — Reiſers Selbſtzutrauen mu߬ te erſt durch zuvorkommende Guͤte geweckt wer¬ den, ehe er es wagte, ſich beliebt zu machen. — Und wo er nur einen Schein von Unzufrieden¬ heit andrer mit ihm bemerkte, da war er ſehr geneigt, an der Moͤglichkeit zu verzweifeln, je¬ mals ein Gegenſtand ihrer Liebe oder ihrer Ach¬ tung zu werden. Darum gehoͤrte gewiß ein groſ¬ ſer Grad von Anſtrengung bei ihm dazu, ſich ſel¬ ber Perſonen als einen Gegenſtand ihrer Auf¬ merkſamkeit vorzuſtellen, von denen er noch nicht wußte, wie ſie ſeine Zudringlichkeit aufnehmen wuͤrden. Seine Baaſe prophezeite ihm ſehr oft, wie ihm der Mangel jenes inſinuanten Weſens an ſeinem Fortkommen in der Welt ſchaden wuͤrde. Sie lehrte ihn, wie er mit der Frau F. . . ſpre¬ chen, und ihr ſagen ſolle: „liebe Frau F. . ., ſeyn B 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/35
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/35>, abgerufen am 24.11.2024.