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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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wickeln. -- Dieß alles zusammengenommen ver¬
setzte ihn oft Stundenlang in eine unbeschreibli¬
che Wehmuth, die er sich damals selber nicht zu
erklären wußte, und sie anfänglich bloß der Un¬
gewohnheit seines neuen Aufenthaltes zuschrieb.

Allein es war nichts als der demüthigende
Gedanke des Lästigseyns, der ihn so danieder
druckte. Hatte er gleich bei seinen Eltern, und
bei dem Hutmacher L. . . auch nicht viel Freude
gehabt, so hatte er doch ein gewisses Recht da
zu seyn. Bei jenen, weil es seine Eltern waren,
und bei diesem, weil er arbeitete. -- Hier aber
war der Stuhl worauf er saß eine Wohlthat. --
Möchten dieß doch alle diejenigen erwägen, wel¬
che irgend jemanden Wohlthaten erzeigen wollen,
und sich vorher recht prüfen, ob sie sich auch so
dabei nehmen werden, daß ihre gutgemeinte Ent¬
schließung dem Bedürftigen nie zur Quaal gereiche.

Das Jahr, welches Reiser in dieser Lage zu¬
brachte, war, obgleich jeder ihn glücklich prieß,
in einzelnen Stunden und Augenblicken, eines
der qualvollsten seines Lebens.

Reiser hätte sich vielleicht seinen Zustand an¬
genehmer machen können, hätte er des nur ge¬

wickeln. — Dieß alles zuſammengenommen ver¬
ſetzte ihn oft Stundenlang in eine unbeſchreibli¬
che Wehmuth, die er ſich damals ſelber nicht zu
erklaͤren wußte, und ſie anfaͤnglich bloß der Un¬
gewohnheit ſeines neuen Aufenthaltes zuſchrieb.

Allein es war nichts als der demuͤthigende
Gedanke des Laͤſtigſeyns, der ihn ſo danieder
druckte. Hatte er gleich bei ſeinen Eltern, und
bei dem Hutmacher L. . . auch nicht viel Freude
gehabt, ſo hatte er doch ein gewiſſes Recht da
zu ſeyn. Bei jenen, weil es ſeine Eltern waren,
und bei dieſem, weil er arbeitete. — Hier aber
war der Stuhl worauf er ſaß eine Wohlthat. —
Moͤchten dieß doch alle diejenigen erwaͤgen, wel¬
che irgend jemanden Wohlthaten erzeigen wollen,
und ſich vorher recht pruͤfen, ob ſie ſich auch ſo
dabei nehmen werden, daß ihre gutgemeinte Ent¬
ſchließung dem Beduͤrftigen nie zur Quaal gereiche.

Das Jahr, welches Reiſer in dieſer Lage zu¬
brachte, war, obgleich jeder ihn gluͤcklich prieß,
in einzelnen Stunden und Augenblicken, eines
der qualvollſten ſeines Lebens.

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[24/0034] wickeln. — Dieß alles zuſammengenommen ver¬ ſetzte ihn oft Stundenlang in eine unbeſchreibli¬ che Wehmuth, die er ſich damals ſelber nicht zu erklaͤren wußte, und ſie anfaͤnglich bloß der Un¬ gewohnheit ſeines neuen Aufenthaltes zuſchrieb. Allein es war nichts als der demuͤthigende Gedanke des Laͤſtigſeyns, der ihn ſo danieder druckte. Hatte er gleich bei ſeinen Eltern, und bei dem Hutmacher L. . . auch nicht viel Freude gehabt, ſo hatte er doch ein gewiſſes Recht da zu ſeyn. Bei jenen, weil es ſeine Eltern waren, und bei dieſem, weil er arbeitete. — Hier aber war der Stuhl worauf er ſaß eine Wohlthat. — Moͤchten dieß doch alle diejenigen erwaͤgen, wel¬ che irgend jemanden Wohlthaten erzeigen wollen, und ſich vorher recht pruͤfen, ob ſie ſich auch ſo dabei nehmen werden, daß ihre gutgemeinte Ent¬ ſchließung dem Beduͤrftigen nie zur Quaal gereiche. Das Jahr, welches Reiſer in dieſer Lage zu¬ brachte, war, obgleich jeder ihn gluͤcklich prieß, in einzelnen Stunden und Augenblicken, eines der qualvollſten ſeines Lebens. Reiſer haͤtte ſich vielleicht ſeinen Zuſtand an¬ genehmer machen koͤnnen, haͤtte er des nur ge¬

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/34>, abgerufen am 29.03.2024.