Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

sich unmöglich auf einmal in ihre seit zwanzig
Jahren etablirte Ordnung, die ihnen schon zur
andern Natur geworden war, gänzlich fügen
konnte.

Es konnte also nicht fehlen, daß es ihnen bald
zu gereuen anfieng, daß sie sich selbst eine Last
aufgebürdet hatten, die ihnen schwerer wurde,
als sie glaubten. Weil sie nur eine Stube und
eine Kammer hatten, so mußte Reiser in der
Wohnstube schlafen, welches ihnen nun alle Mor¬
gen, so oft sie herein traten, einen unvermuthe¬
ten Anblick von Unordnung machte, dessen sie nicht
gewohnt waren, und der sie wirklich in ihrer Zu¬
friedenheit störte. -- Anton merkte dieß bald,
und der Gedanke, lästig zu seyn, war ihm so äng¬
stigend und peinlich, daß er sich oft kaum zu hu¬
sten getrauete, wenn er an den Blicken seiner
Wohlthäter sahe, daß er ihnen im Grunde zur
Last war. -- Denn er mußte doch seine wenigen
Sachen nun irgendwo hinlegen, und wo er sie hin¬
legte, da störten sie gewissermaßen die Ordnung,
weil jeder Fleck hier nun schon einmal bestimmt
war. -- Und doch war es ihm nun unmöglich,
sich aus dieser peinlichen Lage wieder herauszu¬

B 4

ſich unmoͤglich auf einmal in ihre ſeit zwanzig
Jahren etablirte Ordnung, die ihnen ſchon zur
andern Natur geworden war, gaͤnzlich fuͤgen
konnte.

Es konnte alſo nicht fehlen, daß es ihnen bald
zu gereuen anfieng, daß ſie ſich ſelbſt eine Laſt
aufgebuͤrdet hatten, die ihnen ſchwerer wurde,
als ſie glaubten. Weil ſie nur eine Stube und
eine Kammer hatten, ſo mußte Reiſer in der
Wohnſtube ſchlafen, welches ihnen nun alle Mor¬
gen, ſo oft ſie herein traten, einen unvermuthe¬
ten Anblick von Unordnung machte, deſſen ſie nicht
gewohnt waren, und der ſie wirklich in ihrer Zu¬
friedenheit ſtoͤrte. — Anton merkte dieß bald,
und der Gedanke, laͤſtig zu ſeyn, war ihm ſo aͤng¬
ſtigend und peinlich, daß er ſich oft kaum zu hu¬
ſten getrauete, wenn er an den Blicken ſeiner
Wohlthaͤter ſahe, daß er ihnen im Grunde zur
Laſt war. — Denn er mußte doch ſeine wenigen
Sachen nun irgendwo hinlegen, und wo er ſie hin¬
legte, da ſtoͤrten ſie gewiſſermaßen die Ordnung,
weil jeder Fleck hier nun ſchon einmal beſtimmt
war. — Und doch war es ihm nun unmoͤglich,
ſich aus dieſer peinlichen Lage wieder herauszu¬

B 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0033" n="23"/>
&#x017F;ich unmo&#x0364;glich auf einmal in ihre &#x017F;eit zwanzig<lb/>
Jahren etablirte Ordnung, die ihnen &#x017F;chon zur<lb/>
andern Natur geworden war, ga&#x0364;nzlich fu&#x0364;gen<lb/>
konnte.</p><lb/>
      <p>Es konnte al&#x017F;o nicht fehlen, daß es ihnen bald<lb/>
zu gereuen anfieng, daß &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t eine La&#x017F;t<lb/>
aufgebu&#x0364;rdet hatten, die ihnen &#x017F;chwerer wurde,<lb/>
als &#x017F;ie glaubten. Weil &#x017F;ie nur eine Stube und<lb/>
eine Kammer hatten, &#x017F;o mußte Rei&#x017F;er in der<lb/>
Wohn&#x017F;tube &#x017F;chlafen, welches ihnen nun alle Mor¬<lb/>
gen, &#x017F;o oft &#x017F;ie herein traten, einen unvermuthe¬<lb/>
ten Anblick von Unordnung machte, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie nicht<lb/>
gewohnt waren, und der &#x017F;ie wirklich in ihrer Zu¬<lb/>
friedenheit &#x017F;to&#x0364;rte. &#x2014; Anton merkte dieß bald,<lb/>
und der Gedanke, la&#x0364;&#x017F;tig zu &#x017F;eyn, war ihm &#x017F;o a&#x0364;ng¬<lb/>
&#x017F;tigend und peinlich, daß er &#x017F;ich oft kaum zu hu¬<lb/>
&#x017F;ten getrauete, wenn er an den Blicken &#x017F;einer<lb/>
Wohltha&#x0364;ter &#x017F;ahe, daß er ihnen im Grunde <choice><sic>znr</sic><corr>zur</corr></choice><lb/>
La&#x017F;t war. &#x2014; Denn er mußte doch &#x017F;eine wenigen<lb/>
Sachen nun irgendwo hinlegen, und wo er &#x017F;ie hin¬<lb/>
legte, da &#x017F;to&#x0364;rten &#x017F;ie gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen die Ordnung,<lb/>
weil jeder Fleck hier nun &#x017F;chon einmal be&#x017F;timmt<lb/>
war. &#x2014; Und doch war es ihm nun unmo&#x0364;glich,<lb/>
&#x017F;ich aus die&#x017F;er peinlichen Lage wieder herauszu¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 4<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0033] ſich unmoͤglich auf einmal in ihre ſeit zwanzig Jahren etablirte Ordnung, die ihnen ſchon zur andern Natur geworden war, gaͤnzlich fuͤgen konnte. Es konnte alſo nicht fehlen, daß es ihnen bald zu gereuen anfieng, daß ſie ſich ſelbſt eine Laſt aufgebuͤrdet hatten, die ihnen ſchwerer wurde, als ſie glaubten. Weil ſie nur eine Stube und eine Kammer hatten, ſo mußte Reiſer in der Wohnſtube ſchlafen, welches ihnen nun alle Mor¬ gen, ſo oft ſie herein traten, einen unvermuthe¬ ten Anblick von Unordnung machte, deſſen ſie nicht gewohnt waren, und der ſie wirklich in ihrer Zu¬ friedenheit ſtoͤrte. — Anton merkte dieß bald, und der Gedanke, laͤſtig zu ſeyn, war ihm ſo aͤng¬ ſtigend und peinlich, daß er ſich oft kaum zu hu¬ ſten getrauete, wenn er an den Blicken ſeiner Wohlthaͤter ſahe, daß er ihnen im Grunde zur Laſt war. — Denn er mußte doch ſeine wenigen Sachen nun irgendwo hinlegen, und wo er ſie hin¬ legte, da ſtoͤrten ſie gewiſſermaßen die Ordnung, weil jeder Fleck hier nun ſchon einmal beſtimmt war. — Und doch war es ihm nun unmoͤglich, ſich aus dieſer peinlichen Lage wieder herauszu¬ B 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/33
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/33>, abgerufen am 28.11.2024.