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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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daß sie es verdient hatten, so weit unter ihn her¬
abgesetzt wurden.

Grade diese Empfindung ist nachher wieder
in seiner Seele erwacht, so oft er in der ersten
von Virgils Eklogen an die Worte kam; nec in¬
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u. s. w. Indem er sich in die Stelle des
glücklichen Hirten versetzte, der ruhig im Schat¬
ten seines Baums sitzen kann, indes der andere
sein Haus und Feld mit dem Rücken ansehen muß,
war ihm bei dem nec invideo des letztern immer
gerade so zu Muthe, als da das zerlumpte Mäd¬
chen sagte: "Ach Herr Gott, wie schön ist das!"

Ich habe hier nothwendig in Reisers Leben et¬
was nachhohlen und etwas vorweggreifen müssen,
wenn ich zusammen stellen wollte, was nach meiner
Absicht, zusammen gehört. Ich werde dieß noch
öfter thun; und wer meine Absicht eingesehen hat,
bei dem darf ich wohl nicht erst dieser anscheinen¬
den Absprünge wegen um Entschuldigung bitten.

Man sieht leicht, daß Anton Reisers Eitel¬
keit, durch die Umstände, welche sich jetzt verei¬
nigten, um ihm seine eigne Person wichtig zu ma¬
chen, mehr als zu viel Nahrung erhielt. Es be¬
durfte wieder einer kleinen Demüthigung für ihn,

daß ſie es verdient hatten, ſo weit unter ihn her¬
abgeſetzt wurden.

Grade dieſe Empfindung iſt nachher wieder
in ſeiner Seele erwacht, ſo oft er in der erſten
von Virgils Eklogen an die Worte kam; nec in¬
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u. ſ. w. Indem er ſich in die Stelle des
gluͤcklichen Hirten verſetzte, der ruhig im Schat¬
ten ſeines Baums ſitzen kann, indes der andere
ſein Haus und Feld mit dem Ruͤcken anſehen muß,
war ihm bei dem nec invideo des letztern immer
gerade ſo zu Muthe, als da das zerlumpte Maͤd¬
chen ſagte: „Ach Herr Gott, wie ſchoͤn iſt das!“

Ich habe hier nothwendig in Reiſers Leben et¬
was nachhohlen und etwas vorweggreifen muͤſſen,
wenn ich zuſammen ſtellen wollte, was nach meiner
Abſicht, zuſammen gehoͤrt. Ich werde dieß noch
oͤfter thun; und wer meine Abſicht eingeſehen hat,
bei dem darf ich wohl nicht erſt dieſer anſcheinen¬
den Abſpruͤnge wegen um Entſchuldigung bitten.

Man ſieht leicht, daß Anton Reiſers Eitel¬
keit, durch die Umſtaͤnde, welche ſich jetzt verei¬
nigten, um ihm ſeine eigne Perſon wichtig zu ma¬
chen, mehr als zu viel Nahrung erhielt. Es be¬
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[10/0020] daß ſie es verdient hatten, ſo weit unter ihn her¬ abgeſetzt wurden. Grade dieſe Empfindung iſt nachher wieder in ſeiner Seele erwacht, ſo oft er in der erſten von Virgils Eklogen an die Worte kam; nec in¬ video u. ſ. w. Indem er ſich in die Stelle des gluͤcklichen Hirten verſetzte, der ruhig im Schat¬ ten ſeines Baums ſitzen kann, indes der andere ſein Haus und Feld mit dem Ruͤcken anſehen muß, war ihm bei dem nec invideo des letztern immer gerade ſo zu Muthe, als da das zerlumpte Maͤd¬ chen ſagte: „Ach Herr Gott, wie ſchoͤn iſt das!“ Ich habe hier nothwendig in Reiſers Leben et¬ was nachhohlen und etwas vorweggreifen muͤſſen, wenn ich zuſammen ſtellen wollte, was nach meiner Abſicht, zuſammen gehoͤrt. Ich werde dieß noch oͤfter thun; und wer meine Abſicht eingeſehen hat, bei dem darf ich wohl nicht erſt dieſer anſcheinen¬ den Abſpruͤnge wegen um Entſchuldigung bitten. Man ſieht leicht, daß Anton Reiſers Eitel¬ keit, durch die Umſtaͤnde, welche ſich jetzt verei¬ nigten, um ihm ſeine eigne Perſon wichtig zu ma¬ chen, mehr als zu viel Nahrung erhielt. Es be¬ durfte wieder einer kleinen Demuͤthigung fuͤr ihn,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/20>, abgerufen am 29.03.2024.