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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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Reisers Stube zu heizen -- er stand erst die
bitterste Kälte aus, und glaubte, man würde
doch endlich auch an ihn denken -- bis er hörte,
daß er sich bei Tage in der Gesindestube mit auf¬
halten sollte. --

Nun fing er an, sich um seine äußern Ver¬
hältnisse gar nicht mehr zu bekümmern -- Von
seinen Lehrern sowohl als von seinen Mitschü¬
lern verachtet, und hindangesetzt -- und wegen
seines immerwährenden Mißmuths und men¬
scheuen Wesens bei niemand beliebt, gab er
sich gleichsam selber in Rücksicht der mensch¬
lichen Gesellschaft auf
-- und suchte sich nun
vollends ganz in sich zurück zu ziehen.

Er ging zu einem Antiquarius und hohlte sich
einen Roman, eine Komödie nach der andern,
und fieng nun mit einer Art von Wuth an, zu
lesen -- Alles Geld, was er sich vom Munde
absparen konnte, wandte er an, um Bücher
zum lesen dafür zu leihen; und da nach einiger
Zeit der Antiquarius ihn kennen lernte, und
ihm ohne jedesmalige baare Bezahlung Bücher
zum Lesen liehe, so hatte sich Reiser, ehe er
es merkte tief in Schulden hineingelesen, die so

Reiſers Stube zu heizen — er ſtand erſt die
bitterſte Kaͤlte aus, und glaubte, man wuͤrde
doch endlich auch an ihn denken — bis er hoͤrte,
daß er ſich bei Tage in der Geſindeſtube mit auf¬
halten ſollte. —

Nun fing er an, ſich um ſeine aͤußern Ver¬
haͤltniſſe gar nicht mehr zu bekuͤmmern — Von
ſeinen Lehrern ſowohl als von ſeinen Mitſchuͤ¬
lern verachtet, und hindangeſetzt — und wegen
ſeines immerwaͤhrenden Mißmuths und men¬
ſcheuen Weſens bei niemand beliebt, gab er
ſich gleichſam ſelber in Ruͤckſicht der menſch¬
lichen Geſellſchaft auf
— und ſuchte ſich nun
vollends ganz in ſich zuruͤck zu ziehen.

Er ging zu einem Antiquarius und hohlte ſich
einen Roman, eine Komoͤdie nach der andern,
und fieng nun mit einer Art von Wuth an, zu
leſen — Alles Geld, was er ſich vom Munde
abſparen konnte, wandte er an, um Buͤcher
zum leſen dafuͤr zu leihen; und da nach einiger
Zeit der Antiquarius ihn kennen lernte, und
ihm ohne jedesmalige baare Bezahlung Buͤcher
zum Leſen liehe, ſo hatte ſich Reiſer, ehe er
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[130/0140] Reiſers Stube zu heizen — er ſtand erſt die bitterſte Kaͤlte aus, und glaubte, man wuͤrde doch endlich auch an ihn denken — bis er hoͤrte, daß er ſich bei Tage in der Geſindeſtube mit auf¬ halten ſollte. — Nun fing er an, ſich um ſeine aͤußern Ver¬ haͤltniſſe gar nicht mehr zu bekuͤmmern — Von ſeinen Lehrern ſowohl als von ſeinen Mitſchuͤ¬ lern verachtet, und hindangeſetzt — und wegen ſeines immerwaͤhrenden Mißmuths und men¬ ſcheuen Weſens bei niemand beliebt, gab er ſich gleichſam ſelber in Ruͤckſicht der menſch¬ lichen Geſellſchaft auf — und ſuchte ſich nun vollends ganz in ſich zuruͤck zu ziehen. Er ging zu einem Antiquarius und hohlte ſich einen Roman, eine Komoͤdie nach der andern, und fieng nun mit einer Art von Wuth an, zu leſen — Alles Geld, was er ſich vom Munde abſparen konnte, wandte er an, um Buͤcher zum leſen dafuͤr zu leihen; und da nach einiger Zeit der Antiquarius ihn kennen lernte, und ihm ohne jedesmalige baare Bezahlung Buͤcher zum Leſen liehe, ſo hatte ſich Reiſer, ehe er es merkte tief in Schulden hineingeleſen, die ſo

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/140>, abgerufen am 30.04.2024.