während daß seine Eltern Kaffee tranken, ihnen aus dem Thomas von Kempis von der Nachfolge Christi vorlesen mußte, welches er sehr gern that.
Es ward alsdann darüber gesprochen, und er durfte auch zuweilen sein Wort dazu geben. Uebrigens genoß er das Glück, nicht viel zu Hause zu seyn, weil er noch die Stunden seines alten Schreibmeisters zu gleicher Zeit besuchte, den er, ohngeachtet mancher Kopfstöße, die er von ihm bekommen hatte, so aufrichtig liebte, daß er alles für ihn aufgeopfert hätte.
Denn dieser Mann unterhielt sich mit ihm und seinen Mitschülern oft in freundschaftlichen und nützlichen Gesprächen, und weil er sonst von Natur ein ziemlich harter Mann zu seyn schien, so hatte seine Freundlichkeit und Güte desto mehr Rührendes, das ihm die Herzen gewann.
So war nun Anton einmal auf einige Wo¬ chen in einer doppelten Lage glücklich: aber wie bald wurde diese Glückseligkeit zerstört! Damit er sich seines Glücks nicht überheben sollte, wa¬ ren ihm fürs erste schon starke Demüthigungen zubereitet.
waͤhrend daß ſeine Eltern Kaffee tranken, ihnen aus dem Thomas von Kempis von der Nachfolge Chriſti vorleſen mußte, welches er ſehr gern that.
Es ward alsdann daruͤber geſprochen, und er durfte auch zuweilen ſein Wort dazu geben. Uebrigens genoß er das Gluͤck, nicht viel zu Hauſe zu ſeyn, weil er noch die Stunden ſeines alten Schreibmeiſters zu gleicher Zeit beſuchte, den er, ohngeachtet mancher Kopfſtoͤße, die er von ihm bekommen hatte, ſo aufrichtig liebte, daß er alles fuͤr ihn aufgeopfert haͤtte.
Denn dieſer Mann unterhielt ſich mit ihm und ſeinen Mitſchuͤlern oft in freundſchaftlichen und nuͤtzlichen Geſpraͤchen, und weil er ſonſt von Natur ein ziemlich harter Mann zu ſeyn ſchien, ſo hatte ſeine Freundlichkeit und Guͤte deſto mehr Ruͤhrendes, das ihm die Herzen gewann.
So war nun Anton einmal auf einige Wo¬ chen in einer doppelten Lage gluͤcklich: aber wie bald wurde dieſe Gluͤckſeligkeit zerſtoͤrt! Damit er ſich ſeines Gluͤcks nicht uͤberheben ſollte, wa¬ ren ihm fuͤrs erſte ſchon ſtarke Demuͤthigungen zubereitet.
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0070"n="60"/>
waͤhrend daß ſeine Eltern Kaffee tranken, ihnen<lb/>
aus dem Thomas von Kempis von der Nachfolge<lb/>
Chriſti vorleſen mußte, welches er ſehr gern that.</p><lb/><p>Es ward alsdann daruͤber geſprochen, und<lb/>
er durfte auch zuweilen ſein Wort dazu geben.<lb/>
Uebrigens genoß er das Gluͤck, nicht viel zu<lb/>
Hauſe zu ſeyn, weil er noch die Stunden ſeines<lb/>
alten Schreibmeiſters zu gleicher Zeit beſuchte,<lb/>
den er, ohngeachtet mancher Kopfſtoͤße, die er<lb/>
von ihm bekommen hatte, ſo aufrichtig liebte,<lb/>
daß er alles fuͤr ihn aufgeopfert haͤtte.</p><lb/><p>Denn dieſer Mann unterhielt ſich mit ihm<lb/>
und ſeinen Mitſchuͤlern oft in freundſchaftlichen<lb/>
und nuͤtzlichen Geſpraͤchen, und weil er ſonſt von<lb/>
Natur ein ziemlich harter Mann zu ſeyn ſchien,<lb/>ſo hatte ſeine Freundlichkeit und Guͤte deſto mehr<lb/>
Ruͤhrendes, das ihm die Herzen gewann.</p><lb/><p>So war nun Anton einmal auf einige Wo¬<lb/>
chen in einer doppelten Lage gluͤcklich: aber wie<lb/>
bald wurde dieſe Gluͤckſeligkeit zerſtoͤrt! Damit<lb/>
er ſich ſeines Gluͤcks nicht uͤberheben ſollte, wa¬<lb/>
ren ihm fuͤrs erſte ſchon ſtarke Demuͤthigungen<lb/>
zubereitet.</p><lb/></body></text></TEI>
[60/0070]
waͤhrend daß ſeine Eltern Kaffee tranken, ihnen
aus dem Thomas von Kempis von der Nachfolge
Chriſti vorleſen mußte, welches er ſehr gern that.
Es ward alsdann daruͤber geſprochen, und
er durfte auch zuweilen ſein Wort dazu geben.
Uebrigens genoß er das Gluͤck, nicht viel zu
Hauſe zu ſeyn, weil er noch die Stunden ſeines
alten Schreibmeiſters zu gleicher Zeit beſuchte,
den er, ohngeachtet mancher Kopfſtoͤße, die er
von ihm bekommen hatte, ſo aufrichtig liebte,
daß er alles fuͤr ihn aufgeopfert haͤtte.
Denn dieſer Mann unterhielt ſich mit ihm
und ſeinen Mitſchuͤlern oft in freundſchaftlichen
und nuͤtzlichen Geſpraͤchen, und weil er ſonſt von
Natur ein ziemlich harter Mann zu ſeyn ſchien,
ſo hatte ſeine Freundlichkeit und Guͤte deſto mehr
Ruͤhrendes, das ihm die Herzen gewann.
So war nun Anton einmal auf einige Wo¬
chen in einer doppelten Lage gluͤcklich: aber wie
bald wurde dieſe Gluͤckſeligkeit zerſtoͤrt! Damit
er ſich ſeines Gluͤcks nicht uͤberheben ſollte, wa¬
ren ihm fuͤrs erſte ſchon ſtarke Demuͤthigungen
zubereitet.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/70>, abgerufen am 26.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.