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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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war, paßte ihnen Melodien an, die größten¬
theils einen raschen, fröhlichen Gang hatten.

Wenn es sich nun fügte, daß er etwa einmal
nach einer langen Trennung wieder zu Hause
kam, so ließ sich denn doch die Ehegattin über¬
reden, einige dieser Lieder mitzusingen, wozu
er die Zitter spielte. Dieß geschahe gemeiniglich
kurz nach der ersten Freude des Wiedersehens,
und diese Stunden mochten wohl noch die glück¬
lichsten in ihrem Ehestande seyn.

Anton war dann am frohesten, und stimmte
oft so gut er konnte, in diese Lieder ein, die ein
Zeichen der so seltnen wechselseitigen Harmonie
und Uebereinstimmung bei seinen Eltern waren.

Diese Lieder gab ihm nun sein Vater, da er
ihn für reif genug zu dieser Lektüre hielt, in die
Hände, und ließ sie ihn zum Theil auswendig
lernen.

Wirklich hatten diese Gesänge, ohngeachtet
der steifen Uebersetzung, immer noch so viel
Seelenschmelzendes, eine so unnachahmliche
Zärtlichkeit im Ausdrucke, solch ein sanftes Hell¬
dunkel in der Darstellung, und so viel unwi¬
derstehlich Anziehendes für eine weiche Seele,

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war, paßte ihnen Melodien an, die groͤßten¬
theils einen raſchen, froͤhlichen Gang hatten.

Wenn es ſich nun fuͤgte, daß er etwa einmal
nach einer langen Trennung wieder zu Hauſe
kam, ſo ließ ſich denn doch die Ehegattin uͤber¬
reden, einige dieſer Lieder mitzuſingen, wozu
er die Zitter ſpielte. Dieß geſchahe gemeiniglich
kurz nach der erſten Freude des Wiederſehens,
und dieſe Stunden mochten wohl noch die gluͤck¬
lichſten in ihrem Eheſtande ſeyn.

Anton war dann am froheſten, und ſtimmte
oft ſo gut er konnte, in dieſe Lieder ein, die ein
Zeichen der ſo ſeltnen wechſelſeitigen Harmonie
und Uebereinſtimmung bei ſeinen Eltern waren.

Dieſe Lieder gab ihm nun ſein Vater, da er
ihn fuͤr reif genug zu dieſer Lektuͤre hielt, in die
Haͤnde, und ließ ſie ihn zum Theil auswendig
lernen.

Wirklich hatten dieſe Geſaͤnge, ohngeachtet
der ſteifen Ueberſetzung, immer noch ſo viel
Seelenſchmelzendes, eine ſo unnachahmliche
Zaͤrtlichkeit im Ausdrucke, ſolch ein ſanftes Hell¬
dunkel in der Darſtellung, und ſo viel unwi¬
derſtehlich Anziehendes fuͤr eine weiche Seele,

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[23/0033] war, paßte ihnen Melodien an, die groͤßten¬ theils einen raſchen, froͤhlichen Gang hatten. Wenn es ſich nun fuͤgte, daß er etwa einmal nach einer langen Trennung wieder zu Hauſe kam, ſo ließ ſich denn doch die Ehegattin uͤber¬ reden, einige dieſer Lieder mitzuſingen, wozu er die Zitter ſpielte. Dieß geſchahe gemeiniglich kurz nach der erſten Freude des Wiederſehens, und dieſe Stunden mochten wohl noch die gluͤck¬ lichſten in ihrem Eheſtande ſeyn. Anton war dann am froheſten, und ſtimmte oft ſo gut er konnte, in dieſe Lieder ein, die ein Zeichen der ſo ſeltnen wechſelſeitigen Harmonie und Uebereinſtimmung bei ſeinen Eltern waren. Dieſe Lieder gab ihm nun ſein Vater, da er ihn fuͤr reif genug zu dieſer Lektuͤre hielt, in die Haͤnde, und ließ ſie ihn zum Theil auswendig lernen. Wirklich hatten dieſe Geſaͤnge, ohngeachtet der ſteifen Ueberſetzung, immer noch ſo viel Seelenſchmelzendes, eine ſo unnachahmliche Zaͤrtlichkeit im Ausdrucke, ſolch ein ſanftes Hell¬ dunkel in der Darſtellung, und ſo viel unwi¬ derſtehlich Anziehendes fuͤr eine weiche Seele, B 4

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/33>, abgerufen am 23.11.2024.