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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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beleidigte den Lehrer, der am Ende die Bemer¬
kung machte, Anton solle kürzer erzählen. Das
künftigemal faßte er also die ganze Erzählung in
ein paar Worte zusammen, und war in zwei
Minuten damit fertig. -- Das war dem Lehrer
wieder zu kurz, und brachte ihn aufs neue auf --
endlich ließ er ihn gar keine Historien mit eignen
Worten mehr erzählen. -- Des Nachmittags
fürchteten sich die Lehrer, welche die Katechisation
wiederholten, ihn zu fragen, weil er immer mehr
als sie nachgeschrieben hatte, -- er konnte also
gar nicht einmal mehr dazu kommen, seine Fähig¬
keiten zu zeigen, welches doch sein höchster Wunsch
war, um Aufmerksamkeit auf sich zu erregen.

Voller Unwillen darüber, daß er immer un¬
gefragt und stumm da sitzen mußte, ging er end¬
lich einmal mit thränenden Augen zum Inspektor,
der ihn in den Morgenstunden nun auch öfter ge¬
fragt hatte, und sein Urtheil über ihn geändert zu
haben schien, -- dieser fragte ihn, was ihm fehle,
ob ihm etwa von einem seiner Mitschüler unrecht
geschehen sey, und Anton antwortete: nicht von

seinen
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beleidigte den Lehrer, der am Ende die Bemer¬
kung machte, Anton ſolle kuͤrzer erzaͤhlen. Das
kuͤnftigemal faßte er alſo die ganze Erzaͤhlung in
ein paar Worte zuſammen, und war in zwei
Minuten damit fertig. — Das war dem Lehrer
wieder zu kurz, und brachte ihn aufs neue auf —
endlich ließ er ihn gar keine Hiſtorien mit eignen
Worten mehr erzaͤhlen. — Des Nachmittags
fuͤrchteten ſich die Lehrer, welche die Katechiſation
wiederholten, ihn zu fragen, weil er immer mehr
als ſie nachgeſchrieben hatte, — er konnte alſo
gar nicht einmal mehr dazu kommen, ſeine Faͤhig¬
keiten zu zeigen, welches doch ſein hoͤchſter Wunſch
war, um Aufmerkſamkeit auf ſich zu erregen.

Voller Unwillen daruͤber, daß er immer un¬
gefragt und ſtumm da ſitzen mußte, ging er end¬
lich einmal mit thraͤnenden Augen zum Inſpektor,
der ihn in den Morgenſtunden nun auch oͤfter ge¬
fragt hatte, und ſein Urtheil uͤber ihn geaͤndert zu
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[181/0191] beleidigte den Lehrer, der am Ende die Bemer¬ kung machte, Anton ſolle kuͤrzer erzaͤhlen. Das kuͤnftigemal faßte er alſo die ganze Erzaͤhlung in ein paar Worte zuſammen, und war in zwei Minuten damit fertig. — Das war dem Lehrer wieder zu kurz, und brachte ihn aufs neue auf — endlich ließ er ihn gar keine Hiſtorien mit eignen Worten mehr erzaͤhlen. — Des Nachmittags fuͤrchteten ſich die Lehrer, welche die Katechiſation wiederholten, ihn zu fragen, weil er immer mehr als ſie nachgeſchrieben hatte, — er konnte alſo gar nicht einmal mehr dazu kommen, ſeine Faͤhig¬ keiten zu zeigen, welches doch ſein hoͤchſter Wunſch war, um Aufmerkſamkeit auf ſich zu erregen. Voller Unwillen daruͤber, daß er immer un¬ gefragt und ſtumm da ſitzen mußte, ging er end¬ lich einmal mit thraͤnenden Augen zum Inſpektor, der ihn in den Morgenſtunden nun auch oͤfter ge¬ fragt hatte, und ſein Urtheil uͤber ihn geaͤndert zu haben ſchien, — dieſer fragte ihn, was ihm fehle, ob ihm etwa von einem ſeiner Mitſchuͤler unrecht geſchehen ſey, und Anton antwortete: nicht von ſeinen M 3

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/191>, abgerufen am 23.11.2024.