seinen Mitschülern, sondern von seinen Lehrern sey ihm Unrecht geschehn, diese vernachläßigten ihn, und niemand fragte ihn mehr, wenn er gleich die Sache besser, als andre wüßte. Hierinn möchte man ihm doch Recht verschaffen!
Der Inspektor suchte ihm das auszureden, und entschuldigte die Lehrer mit der Menge der Schüler, von der Zeit an aber fing er an, selbst aufmerk¬ samer auf ihn zu werden, und fragte ihn des Mor¬ gens in der Frühstunde öfter, als sonst.
In einer Stunde wöchentlich wurde eine Ue¬ bung mit den Psalmen angestellt, wo ein jeder der Schüler sich Lehren herausziehn mußte; diese wurden auf ein Blatt Papier oder eine Rechentafel geschrieben, und dann abgelesen, wobei mancher stark zu schwitzen pflegte. -- Der Inspector war dabei. Anton schrieb nichts auf. Als aber die Reihe an ihn kam, ging er den ganzen Psalm durch, und hielt eine ordentliche Abhandlung oder Predigt darüber, die fast eine halbe Stunde dau¬ erte, so daß der Inspector selbst am Ende sagte: es sey nun gnug; -- er solle den Psalm nicht
eigent¬
ſeinen Mitſchuͤlern, ſondern von ſeinen Lehrern ſey ihm Unrecht geſchehn, dieſe vernachlaͤßigten ihn, und niemand fragte ihn mehr, wenn er gleich die Sache beſſer, als andre wuͤßte. Hierinn moͤchte man ihm doch Recht verſchaffen!
Der Inſpektor ſuchte ihm das auszureden, und entſchuldigte die Lehrer mit der Menge der Schuͤler, von der Zeit an aber fing er an, ſelbſt aufmerk¬ ſamer auf ihn zu werden, und fragte ihn des Mor¬ gens in der Fruͤhſtunde oͤfter, als ſonſt.
In einer Stunde woͤchentlich wurde eine Ue¬ bung mit den Pſalmen angeſtellt, wo ein jeder der Schuͤler ſich Lehren herausziehn mußte; dieſe wurden auf ein Blatt Papier oder eine Rechentafel geſchrieben, und dann abgeleſen, wobei mancher ſtark zu ſchwitzen pflegte. — Der Inſpector war dabei. Anton ſchrieb nichts auf. Als aber die Reihe an ihn kam, ging er den ganzen Pſalm durch, und hielt eine ordentliche Abhandlung oder Predigt daruͤber, die faſt eine halbe Stunde dau¬ erte, ſo daß der Inſpector ſelbſt am Ende ſagte: es ſey nun gnug; — er ſolle den Pſalm nicht
eigent¬
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0192"n="182"/>ſeinen Mitſchuͤlern, ſondern von ſeinen Lehrern ſey<lb/>
ihm Unrecht geſchehn, dieſe vernachlaͤßigten ihn,<lb/>
und niemand fragte ihn mehr, wenn er gleich die<lb/>
Sache beſſer, als andre wuͤßte. Hierinn moͤchte<lb/>
man ihm doch Recht verſchaffen!</p><lb/><p>Der Inſpektor ſuchte ihm das auszureden, und<lb/>
entſchuldigte die Lehrer mit der Menge der Schuͤler,<lb/>
von der Zeit an aber fing er an, ſelbſt aufmerk¬<lb/>ſamer auf ihn zu werden, und fragte ihn des Mor¬<lb/>
gens in der Fruͤhſtunde oͤfter, als ſonſt.</p><lb/><p>In einer Stunde woͤchentlich wurde eine Ue¬<lb/>
bung mit den Pſalmen angeſtellt, wo ein jeder<lb/>
der Schuͤler ſich Lehren herausziehn mußte; dieſe<lb/>
wurden auf ein Blatt Papier oder eine Rechentafel<lb/>
geſchrieben, und dann abgeleſen, wobei mancher<lb/>ſtark zu ſchwitzen pflegte. — Der Inſpector war<lb/>
dabei. Anton ſchrieb nichts auf. Als aber die<lb/>
Reihe an ihn kam, ging er den ganzen Pſalm<lb/>
durch, und hielt eine ordentliche Abhandlung oder<lb/>
Predigt daruͤber, die faſt eine halbe Stunde dau¬<lb/>
erte, ſo daß der Inſpector ſelbſt am Ende ſagte:<lb/>
es ſey nun gnug; — er ſolle den Pſalm nicht<lb/><fwplace="bottom"type="catch">eigent¬<lb/></fw></p></body></text></TEI>
[182/0192]
ſeinen Mitſchuͤlern, ſondern von ſeinen Lehrern ſey
ihm Unrecht geſchehn, dieſe vernachlaͤßigten ihn,
und niemand fragte ihn mehr, wenn er gleich die
Sache beſſer, als andre wuͤßte. Hierinn moͤchte
man ihm doch Recht verſchaffen!
Der Inſpektor ſuchte ihm das auszureden, und
entſchuldigte die Lehrer mit der Menge der Schuͤler,
von der Zeit an aber fing er an, ſelbſt aufmerk¬
ſamer auf ihn zu werden, und fragte ihn des Mor¬
gens in der Fruͤhſtunde oͤfter, als ſonſt.
In einer Stunde woͤchentlich wurde eine Ue¬
bung mit den Pſalmen angeſtellt, wo ein jeder
der Schuͤler ſich Lehren herausziehn mußte; dieſe
wurden auf ein Blatt Papier oder eine Rechentafel
geſchrieben, und dann abgeleſen, wobei mancher
ſtark zu ſchwitzen pflegte. — Der Inſpector war
dabei. Anton ſchrieb nichts auf. Als aber die
Reihe an ihn kam, ging er den ganzen Pſalm
durch, und hielt eine ordentliche Abhandlung oder
Predigt daruͤber, die faſt eine halbe Stunde dau¬
erte, ſo daß der Inſpector ſelbſt am Ende ſagte:
es ſey nun gnug; — er ſolle den Pſalm nicht
eigent¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/192>, abgerufen am 26.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.