Diß Tragen auf dem Rücken schwächte seinen Muth mehr, als irgend eine Demüthigung, die er noch erlitten hatte, und mehr als L...s Scheltworte und Schläge. Es war ihm, als ob er nun nicht tiefer sinken könne; er betrach¬ tete sich beinahe selbst, als ein verächtliches, weg¬ geworfenes Geschöpf: Es war diß eine der grausamsten Situationen in seinem ganzen Le¬ ben, an die er sich nachher, so oft er ein Zeug¬ haus sahe, lebhaft wieder erinnerte, und deren Bild wieder in ihm aufstieg, so oft er das Wort Unterjochung hörte.
Wenn ihm so etwas begegnet war, so suchte er sich vor allen Menschen zu verbergen; jeder Laut der Freude war ihm zuwider; er eilte auf das Plätzchen hinter dem Hause an die Oker hin, und blickte oft Stundenlang sehnsuchtsvoll in die Fluth hinab. -- Verfolgte ihn dann selbst da irgend eine menschliche Stimme, aus einem der benachbarten Häuser, oder hörte er singen, lachen, oder sprechen, so däuchte es ihm, als treibe die Welt ihr Hohngelächter über ihn, so verachtet, so vernichtet glaubte er sich, seitdem er seinen Nacken unter das Joch eines Tragkor¬ bes gebeugt hatte.
Es
Diß Tragen auf dem Ruͤcken ſchwaͤchte ſeinen Muth mehr, als irgend eine Demuͤthigung, die er noch erlitten hatte, und mehr als L...s Scheltworte und Schlaͤge. Es war ihm, als ob er nun nicht tiefer ſinken koͤnne; er betrach¬ tete ſich beinahe ſelbſt, als ein veraͤchtliches, weg¬ geworfenes Geſchoͤpf: Es war diß eine der grauſamſten Situationen in ſeinem ganzen Le¬ ben, an die er ſich nachher, ſo oft er ein Zeug¬ haus ſahe, lebhaft wieder erinnerte, und deren Bild wieder in ihm aufſtieg, ſo oft er das Wort Unterjochung hoͤrte.
Wenn ihm ſo etwas begegnet war, ſo ſuchte er ſich vor allen Menſchen zu verbergen; jeder Laut der Freude war ihm zuwider; er eilte auf das Plaͤtzchen hinter dem Hauſe an die Oker hin, und blickte oft Stundenlang ſehnſuchtsvoll in die Fluth hinab. — Verfolgte ihn dann ſelbſt da irgend eine menſchliche Stimme, aus einem der benachbarten Haͤuſer, oder hoͤrte er ſingen, lachen, oder ſprechen, ſo daͤuchte es ihm, als treibe die Welt ihr Hohngelaͤchter uͤber ihn, ſo verachtet, ſo vernichtet glaubte er ſich, ſeitdem er ſeinen Nacken unter das Joch eines Tragkor¬ bes gebeugt hatte.
Es
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Diß Tragen auf dem Ruͤcken ſchwaͤchte ſeinen
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Scheltworte und Schlaͤge. Es war ihm, als
ob er nun nicht tiefer ſinken koͤnne; er betrach¬
tete ſich beinahe ſelbſt, als ein veraͤchtliches, weg¬
geworfenes Geſchoͤpf: Es war diß eine der
grauſamſten Situationen in ſeinem ganzen Le¬
ben, an die er ſich nachher, ſo oft er ein Zeug¬
haus ſahe, lebhaft wieder erinnerte, und deren
Bild wieder in ihm aufſtieg, ſo oft er das Wort
Unterjochung hoͤrte.
Wenn ihm ſo etwas begegnet war, ſo ſuchte
er ſich vor allen Menſchen zu verbergen; jeder
Laut der Freude war ihm zuwider; er eilte auf
das Plaͤtzchen hinter dem Hauſe an die Oker hin,
und blickte oft Stundenlang ſehnſuchtsvoll
in die Fluth hinab. — Verfolgte ihn dann ſelbſt
da irgend eine menſchliche Stimme, aus einem
der benachbarten Haͤuſer, oder hoͤrte er ſingen,
lachen, oder ſprechen, ſo daͤuchte es ihm, als
treibe die Welt ihr Hohngelaͤchter uͤber ihn, ſo
verachtet, ſo vernichtet glaubte er ſich, ſeitdem
er ſeinen Nacken unter das Joch eines Tragkor¬
bes gebeugt hatte.
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/168>, abgerufen am 26.06.2024.
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