sätze für gefährlich hielt, in die Bastille gesetzt, wo sie nach einer zehnjährigen Gefangenschaft starb. Als man nach ihrem Tode ihren Kopf öfnete, fand man ihr Gehirn fast wie ausge¬ trocknet. Sie wird übrigens noch itzt von ihren Anhängern, als eine Heilige der ersten Größe, beinahe göttlich verehrt, und ihre Aussprüche werden den Aussprüchen der Bibel gleich ge¬ schätzt; weil man annimmt, daß sie durch gänz¬ liche Ertödtung aller Eigenheit, so gewiß mit Gott sey vereinigt worden, daß alle ihre Gedan¬ ken auch nothwendig göttliche Gedanken werden mußten.
Der Herr v. F. hatte die Schriften der Mad. Guion auf seinen Reisen in Frankreich kennen gelernt, und die trockne, metaphysische Schwär¬ merei, welche darinn herrscht, hatte für seine Gemüthsbeschaffenheit so viel Anziehendes, daß er sich ihr mit eben dem Eifer ergab, womit er sich wahrscheinlich, unter andern Umständen, dem höchsten Stoicismus würde ergeben haben, womit die Lehren der Mad. Guion, in Anse¬ hung der gänzlichen Ertödtung aller Begierden u. s. w. oft eine auffallende Aehnlichkeit haben.
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ſaͤtze fuͤr gefaͤhrlich hielt, in die Baſtille geſetzt, wo ſie nach einer zehnjaͤhrigen Gefangenſchaft ſtarb. Als man nach ihrem Tode ihren Kopf oͤfnete, fand man ihr Gehirn faſt wie ausge¬ trocknet. Sie wird uͤbrigens noch itzt von ihren Anhaͤngern, als eine Heilige der erſten Groͤße, beinahe goͤttlich verehrt, und ihre Ausſpruͤche werden den Ausſpruͤchen der Bibel gleich ge¬ ſchaͤtzt; weil man annimmt, daß ſie durch gaͤnz¬ liche Ertoͤdtung aller Eigenheit, ſo gewiß mit Gott ſey vereinigt worden, daß alle ihre Gedan¬ ken auch nothwendig goͤttliche Gedanken werden mußten.
Der Herr v. F. hatte die Schriften der Mad. Guion auf ſeinen Reiſen in Frankreich kennen gelernt, und die trockne, metaphyſiſche Schwaͤr¬ merei, welche darinn herrſcht, hatte fuͤr ſeine Gemuͤthsbeſchaffenheit ſo viel Anziehendes, daß er ſich ihr mit eben dem Eifer ergab, womit er ſich wahrſcheinlich, unter andern Umſtaͤnden, dem hoͤchſten Stoicismus wuͤrde ergeben haben, womit die Lehren der Mad. Guion, in Anſe¬ hung der gaͤnzlichen Ertoͤdtung aller Begierden u. ſ. w. oft eine auffallende Aehnlichkeit haben.
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ſaͤtze fuͤr gefaͤhrlich hielt, in die Baſtille geſetzt,
wo ſie nach einer zehnjaͤhrigen Gefangenſchaft
ſtarb. Als man nach ihrem Tode ihren Kopf
oͤfnete, fand man ihr Gehirn faſt wie ausge¬
trocknet. Sie wird uͤbrigens noch itzt von ihren
Anhaͤngern, als eine Heilige der erſten Groͤße,
beinahe goͤttlich verehrt, und ihre Ausſpruͤche
werden den Ausſpruͤchen der Bibel gleich ge¬
ſchaͤtzt; weil man annimmt, daß ſie durch gaͤnz¬
liche Ertoͤdtung aller Eigenheit, ſo gewiß mit
Gott ſey vereinigt worden, daß alle ihre Gedan¬
ken auch nothwendig goͤttliche Gedanken werden
mußten.
Der Herr v. F. hatte die Schriften der Mad.
Guion auf ſeinen Reiſen in Frankreich kennen
gelernt, und die trockne, metaphyſiſche Schwaͤr¬
merei, welche darinn herrſcht, hatte fuͤr ſeine
Gemuͤthsbeſchaffenheit ſo viel Anziehendes, daß
er ſich ihr mit eben dem Eifer ergab, womit er
ſich wahrſcheinlich, unter andern Umſtaͤnden,
dem hoͤchſten Stoicismus wuͤrde ergeben haben,
womit die Lehren der Mad. Guion, in Anſe¬
hung der gaͤnzlichen Ertoͤdtung aller Begierden
u. ſ. w. oft eine auffallende Aehnlichkeit haben.
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/15>, abgerufen am 27.07.2024.
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