Er wurde nun auch von seinen Anhängern ebenfalls wie ein Heiliger verehrt, und ihm wirk¬ lich zugetrauet, daß er, beim ersten Anblick, das Innerste der Seele eines Menschen durchschauen könne.
Zu seinem Hause geschahen Wallfahrten von allen Seiten, und unter denen, die jährlich, wenigstens einmal, dieses Haus besuchten, war auch Antons Vater.
Dieser, ohne eigentliche Erziehung aufge¬ wachsen, hatte seine erste Frau sehr früh ge¬ heirathet, immer ein ziemlich wildes herumir¬ rendes Leben geführt, wohl zuweilen einige fromme Rührungen gehabt, aber nicht viel dar¬ auf geachtet. Bis er nach dem Tode seiner er¬ sten Frau plötzlich in sich geht, auf einmal tief¬ sinnig, und wie man sagt, ein ganz andrer Mensch wird, und bei seinem Aufenthalt in P. zufälliger Weise erstlich den Verwalter des Hrn. v. F. und nachher durch diesen den Hrn. v. F. selber kennen lernte.
Dieser giebt ihm denn nach und nach die Guionschen Schriften zu lesen, er findet Ge¬
Er wurde nun auch von ſeinen Anhaͤngern ebenfalls wie ein Heiliger verehrt, und ihm wirk¬ lich zugetrauet, daß er, beim erſten Anblick, das Innerſte der Seele eines Menſchen durchſchauen koͤnne.
Zu ſeinem Hauſe geſchahen Wallfahrten von allen Seiten, und unter denen, die jaͤhrlich, wenigſtens einmal, dieſes Haus beſuchten, war auch Antons Vater.
Dieſer, ohne eigentliche Erziehung aufge¬ wachſen, hatte ſeine erſte Frau ſehr fruͤh ge¬ heirathet, immer ein ziemlich wildes herumir¬ rendes Leben gefuͤhrt, wohl zuweilen einige fromme Ruͤhrungen gehabt, aber nicht viel dar¬ auf geachtet. Bis er nach dem Tode ſeiner er¬ ſten Frau ploͤtzlich in ſich geht, auf einmal tief¬ ſinnig, und wie man ſagt, ein ganz andrer Menſch wird, und bei ſeinem Aufenthalt in P. zufaͤlliger Weiſe erſtlich den Verwalter des Hrn. v. F. und nachher durch dieſen den Hrn. v. F. ſelber kennen lernte.
Dieſer giebt ihm denn nach und nach die Guionſchen Schriften zu leſen, er findet Ge¬
<TEI><text><body><pbfacs="#f0016"n="6"/><p>Er wurde nun auch von ſeinen Anhaͤngern<lb/>
ebenfalls wie ein Heiliger verehrt, und ihm wirk¬<lb/>
lich zugetrauet, daß er, beim erſten Anblick, das<lb/>
Innerſte der Seele eines Menſchen durchſchauen<lb/>
koͤnne.</p><lb/><p>Zu ſeinem Hauſe geſchahen Wallfahrten von<lb/>
allen Seiten, und unter denen, die jaͤhrlich,<lb/>
wenigſtens einmal, dieſes Haus beſuchten, war<lb/>
auch <hirendition="#fr">Antons</hi> Vater.</p><lb/><p>Dieſer, ohne eigentliche Erziehung aufge¬<lb/>
wachſen, hatte ſeine erſte Frau ſehr fruͤh ge¬<lb/>
heirathet, immer ein ziemlich wildes herumir¬<lb/>
rendes Leben gefuͤhrt, wohl zuweilen einige<lb/>
fromme Ruͤhrungen gehabt, aber nicht viel dar¬<lb/>
auf geachtet. Bis er nach dem Tode ſeiner er¬<lb/>ſten Frau ploͤtzlich in ſich geht, auf einmal tief¬<lb/>ſinnig, und wie man ſagt, ein ganz andrer<lb/>
Menſch wird, und bei ſeinem Aufenthalt in P.<lb/>
zufaͤlliger Weiſe erſtlich den Verwalter des Hrn.<lb/>
v. F. und nachher durch dieſen den Hrn. v. F.<lb/>ſelber kennen lernte.</p><lb/><p>Dieſer giebt ihm denn nach und nach die<lb/>
Guionſchen Schriften zu leſen, er findet Ge¬<lb/></p></body></text></TEI>
[6/0016]
Er wurde nun auch von ſeinen Anhaͤngern
ebenfalls wie ein Heiliger verehrt, und ihm wirk¬
lich zugetrauet, daß er, beim erſten Anblick, das
Innerſte der Seele eines Menſchen durchſchauen
koͤnne.
Zu ſeinem Hauſe geſchahen Wallfahrten von
allen Seiten, und unter denen, die jaͤhrlich,
wenigſtens einmal, dieſes Haus beſuchten, war
auch Antons Vater.
Dieſer, ohne eigentliche Erziehung aufge¬
wachſen, hatte ſeine erſte Frau ſehr fruͤh ge¬
heirathet, immer ein ziemlich wildes herumir¬
rendes Leben gefuͤhrt, wohl zuweilen einige
fromme Ruͤhrungen gehabt, aber nicht viel dar¬
auf geachtet. Bis er nach dem Tode ſeiner er¬
ſten Frau ploͤtzlich in ſich geht, auf einmal tief¬
ſinnig, und wie man ſagt, ein ganz andrer
Menſch wird, und bei ſeinem Aufenthalt in P.
zufaͤlliger Weiſe erſtlich den Verwalter des Hrn.
v. F. und nachher durch dieſen den Hrn. v. F.
ſelber kennen lernte.
Dieſer giebt ihm denn nach und nach die
Guionſchen Schriften zu leſen, er findet Ge¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/16>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.