und Gebehrden überschritt alle Regeln der Kunst, und war doch natürlich, schön, und unwider¬ stehlich mit sich fortreißend.
Da war kein Aufenthalt in dem mächtigen Erguß seiner Empfindungen und Gedanken; das künftige Wort war immer schon im Begriff her¬ vorzubrechen, ehe das vorhergehende noch völlig ausgesprochen war; wie eine Welle die andere in der strömenden Fluth verschlingt, so verlohr sich jede neue Empfindung sogleich in der fol¬ genden, und doch war diese immer nur eine leb¬ haftre Vergegenwärtigung der vorhergegangnen.
Seine Stimme war ein heller Tenor, der bei seiner Höhe eine ungewöhnliche Fülle hatte; es war der Klang eines reinen Metalls, welcher durch alle Nerven vibrirt. Er sprach nach An¬ leitung des Evangeliums gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung, gegen Ueppigkeit und Ver¬ schwendung; und im höchsten Feuer der Begeiste¬ rung redete er zuletzt die üppige und schwelgerische Stadt, deren Einwohner größtentheils in dieser Kirche versammlet waren, mit Nahmen an; deckte ihre Sünden und Verbrechen auf; erin¬ nerte sie an die Zeiten des Krieges, an die Be¬
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und Gebehrden uͤberſchritt alle Regeln der Kunſt, und war doch natuͤrlich, ſchoͤn, und unwider¬ ſtehlich mit ſich fortreißend.
Da war kein Aufenthalt in dem maͤchtigen Erguß ſeiner Empfindungen und Gedanken; das kuͤnftige Wort war immer ſchon im Begriff her¬ vorzubrechen, ehe das vorhergehende noch voͤllig ausgeſprochen war; wie eine Welle die andere in der ſtroͤmenden Fluth verſchlingt, ſo verlohr ſich jede neue Empfindung ſogleich in der fol¬ genden, und doch war dieſe immer nur eine leb¬ haftre Vergegenwaͤrtigung der vorhergegangnen.
Seine Stimme war ein heller Tenor, der bei ſeiner Hoͤhe eine ungewoͤhnliche Fuͤlle hatte; es war der Klang eines reinen Metalls, welcher durch alle Nerven vibrirt. Er ſprach nach An¬ leitung des Evangeliums gegen Ungerechtigkeit und Unterdruͤckung, gegen Ueppigkeit und Ver¬ ſchwendung; und im hoͤchſten Feuer der Begeiſte¬ rung redete er zuletzt die uͤppige und ſchwelgeriſche Stadt, deren Einwohner groͤßtentheils in dieſer Kirche verſammlet waren, mit Nahmen an; deckte ihre Suͤnden und Verbrechen auf; erin¬ nerte ſie an die Zeiten des Krieges, an die Be¬
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und Gebehrden uͤberſchritt alle Regeln der Kunſt,
und war doch natuͤrlich, ſchoͤn, und unwider¬
ſtehlich mit ſich fortreißend.
Da war kein Aufenthalt in dem maͤchtigen
Erguß ſeiner Empfindungen und Gedanken; das
kuͤnftige Wort war immer ſchon im Begriff her¬
vorzubrechen, ehe das vorhergehende noch voͤllig
ausgeſprochen war; wie eine Welle die andere
in der ſtroͤmenden Fluth verſchlingt, ſo verlohr
ſich jede neue Empfindung ſogleich in der fol¬
genden, und doch war dieſe immer nur eine leb¬
haftre Vergegenwaͤrtigung der vorhergegangnen.
Seine Stimme war ein heller Tenor, der
bei ſeiner Hoͤhe eine ungewoͤhnliche Fuͤlle hatte;
es war der Klang eines reinen Metalls, welcher
durch alle Nerven vibrirt. Er ſprach nach An¬
leitung des Evangeliums gegen Ungerechtigkeit
und Unterdruͤckung, gegen Ueppigkeit und Ver¬
ſchwendung; und im hoͤchſten Feuer der Begeiſte¬
rung redete er zuletzt die uͤppige und ſchwelgeriſche
Stadt, deren Einwohner groͤßtentheils in dieſer
Kirche verſammlet waren, mit Nahmen an;
deckte ihre Suͤnden und Verbrechen auf; erin¬
nerte ſie an die Zeiten des Krieges, an die Be¬
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/125>, abgerufen am 17.06.2024.
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