Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Es schien, als ob zwischen ihnen eine dauerhafte
Freundschaft entstehen würde. Anton faßte auch
wirklich eine Art von Liebe gegen L. . ., aber
diese Empfindung war immer mit etwas Her¬
ben untermischt, mit einem gewissen Ge¬
fühl von Ertödtung und Vernichtung, welches
durch L. . .s bittersüßes Lächeln erzeugt
wurde.

Indeß blieb Anton jetzt von harten und nie¬
drigen Arbeiten, mehr wie sonst, verschont. L. . .
ging zuweilen mit ihm spatzieren; ja er nahm
ihm sogar einen Klaviermeister an. -- Anton
war entzückt über seinen Zustand, und schrieb
einen Brief an seinen Vater, worin er demselben
auf das lebhafteste seine Zufriedenheit bezeigte.

Nun hatte aber auch Antons Glück im L. . .schen
Hause den höchsten Gipfel erreicht, und sein Fall
war nahe. Alles sahe ihn mit neidischen Augen
an, seitdem ihm der Klaviermeister gehalten
wurde. Es wurden hier Kabalen, wie an einem
kleinen Hofe gespielt; man verläumdete ihn,
man suchte ihn zu stürzen.

So lange L. . . gegen Anton hart und unbil¬
lig verfahren war, genoß er des Mitleids und

Es ſchien, als ob zwiſchen ihnen eine dauerhafte
Freundſchaft entſtehen wuͤrde. Anton faßte auch
wirklich eine Art von Liebe gegen L. . ., aber
dieſe Empfindung war immer mit etwas Her¬
ben untermiſcht, mit einem gewiſſen Ge¬
fuͤhl von Ertoͤdtung und Vernichtung, welches
durch L. . .s bitterſuͤßes Laͤcheln erzeugt
wurde.

Indeß blieb Anton jetzt von harten und nie¬
drigen Arbeiten, mehr wie ſonſt, verſchont. L. . .
ging zuweilen mit ihm ſpatzieren; ja er nahm
ihm ſogar einen Klaviermeiſter an. — Anton
war entzuͤckt uͤber ſeinen Zuſtand, und ſchrieb
einen Brief an ſeinen Vater, worin er demſelben
auf das lebhafteſte ſeine Zufriedenheit bezeigte.

Nun hatte aber auch Antons Gluͤck im L. . .ſchen
Hauſe den hoͤchſten Gipfel erreicht, und ſein Fall
war nahe. Alles ſahe ihn mit neidiſchen Augen
an, ſeitdem ihm der Klaviermeiſter gehalten
wurde. Es wurden hier Kabalen, wie an einem
kleinen Hofe geſpielt; man verlaͤumdete ihn,
man ſuchte ihn zu ſtuͤrzen.

So lange L. . . gegen Anton hart und unbil¬
lig verfahren war, genoß er des Mitleids und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0110" n="100"/>
Es &#x017F;chien, als ob zwi&#x017F;chen ihnen eine dauerhafte<lb/>
Freund&#x017F;chaft ent&#x017F;tehen wu&#x0364;rde. Anton faßte auch<lb/>
wirklich eine Art von Liebe gegen L. . ., aber<lb/>
die&#x017F;e Empfindung war immer mit etwas Her¬<lb/>
ben untermi&#x017F;cht, mit einem gewi&#x017F;&#x017F;en Ge¬<lb/>
fu&#x0364;hl von Erto&#x0364;dtung und Vernichtung, welches<lb/>
durch L. . .s bitter&#x017F;u&#x0364;ßes La&#x0364;cheln erzeugt<lb/>
wurde.</p><lb/>
      <p>Indeß blieb Anton jetzt von harten und nie¬<lb/>
drigen Arbeiten, mehr wie &#x017F;on&#x017F;t, ver&#x017F;chont. L. . .<lb/>
ging zuweilen mit ihm &#x017F;patzieren; ja er nahm<lb/>
ihm &#x017F;ogar einen Klaviermei&#x017F;ter an. &#x2014; Anton<lb/>
war entzu&#x0364;ckt u&#x0364;ber &#x017F;einen Zu&#x017F;tand, und &#x017F;chrieb<lb/>
einen Brief an &#x017F;einen Vater, worin er dem&#x017F;elben<lb/>
auf das lebhafte&#x017F;te &#x017F;eine Zufriedenheit bezeigte.</p><lb/>
      <p>Nun hatte aber auch Antons Glu&#x0364;ck im L. . .&#x017F;chen<lb/>
Hau&#x017F;e den ho&#x0364;ch&#x017F;ten Gipfel erreicht, und &#x017F;ein Fall<lb/>
war nahe. Alles &#x017F;ahe ihn mit neidi&#x017F;chen Augen<lb/>
an, &#x017F;eitdem ihm der Klaviermei&#x017F;ter gehalten<lb/>
wurde. Es wurden hier Kabalen, wie an einem<lb/>
kleinen Hofe ge&#x017F;pielt; man verla&#x0364;umdete ihn,<lb/>
man &#x017F;uchte ihn zu &#x017F;tu&#x0364;rzen.</p><lb/>
      <p>So lange L. . . gegen Anton hart und unbil¬<lb/>
lig verfahren war, genoß er des Mitleids und<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0110] Es ſchien, als ob zwiſchen ihnen eine dauerhafte Freundſchaft entſtehen wuͤrde. Anton faßte auch wirklich eine Art von Liebe gegen L. . ., aber dieſe Empfindung war immer mit etwas Her¬ ben untermiſcht, mit einem gewiſſen Ge¬ fuͤhl von Ertoͤdtung und Vernichtung, welches durch L. . .s bitterſuͤßes Laͤcheln erzeugt wurde. Indeß blieb Anton jetzt von harten und nie¬ drigen Arbeiten, mehr wie ſonſt, verſchont. L. . . ging zuweilen mit ihm ſpatzieren; ja er nahm ihm ſogar einen Klaviermeiſter an. — Anton war entzuͤckt uͤber ſeinen Zuſtand, und ſchrieb einen Brief an ſeinen Vater, worin er demſelben auf das lebhafteſte ſeine Zufriedenheit bezeigte. Nun hatte aber auch Antons Gluͤck im L. . .ſchen Hauſe den hoͤchſten Gipfel erreicht, und ſein Fall war nahe. Alles ſahe ihn mit neidiſchen Augen an, ſeitdem ihm der Klaviermeiſter gehalten wurde. Es wurden hier Kabalen, wie an einem kleinen Hofe geſpielt; man verlaͤumdete ihn, man ſuchte ihn zu ſtuͤrzen. So lange L. . . gegen Anton hart und unbil¬ lig verfahren war, genoß er des Mitleids und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/110
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/110>, abgerufen am 09.11.2024.