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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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vom Apollo geschunden, weil er auf ein zu hohes
Kunsttalent Anspruch machte, und es wagte, mit
dem Gott der Tonkunst selber in einem Wettstreit
auf der Flöte es aufzunehmen. -- Diese Dichtun-
gen selber scheinen bei den Alten eine Art von Er-
bitterung gegen alles Mittelmäßige und Schlechte
in der Kunst vorauszusetzen. -- Auch Thamyris,
ein König in Thracien mußte für seine Eitelkeit
büßen, da er sich rühmend und seiner Talente in
der Musik und Dichtkunst sich überhebend, die Mu-
sen selber zum Wettstreit aufzufordern wagte, die
ihn mit Blindheit straften, und der Gabe zu dich-
ten ihn ganz beraubten.

Was nun die Abbildungen der Musen anbe-
trift, so findet man sie am öftersten dargestellt mit
einem Volumen, mit zwei Flöten, oder mit
einer Leyer in der Hand. -- Das Volumen oder
die Pergamentrolle bezeichnet entweder die Klio
als die Muse der Geschichte, oder die Polyhymnia
als die Muse der Beredtsamkeit. -- Bei den Flö-
ten denkt man sich die Euterpe als die Muse der
Tonkunst; und bei der Leyer die Erato, als die
Muse der Liebe einflößenden Gesänge. -- Melpo-
mene, die tragische Muse, wird an der tragischen,
Thalia die komische Muse, an der komischen Larve
erkannt. -- Kalliope, als die Muse des Helden-
gedichts, soll sich durch die Tuba, Terpsichore,
die Muse der Tanzkunst, durch eine tanzende Stel-

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vom Apollo geſchunden, weil er auf ein zu hohes
Kunſttalent Anſpruch machte, und es wagte, mit
dem Gott der Tonkunſt ſelber in einem Wettſtreit
auf der Floͤte es aufzunehmen. — Dieſe Dichtun-
gen ſelber ſcheinen bei den Alten eine Art von Er-
bitterung gegen alles Mittelmaͤßige und Schlechte
in der Kunſt vorauszuſetzen. — Auch Thamyris,
ein Koͤnig in Thracien mußte fuͤr ſeine Eitelkeit
buͤßen, da er ſich ruͤhmend und ſeiner Talente in
der Muſik und Dichtkunſt ſich uͤberhebend, die Mu-
ſen ſelber zum Wettſtreit aufzufordern wagte, die
ihn mit Blindheit ſtraften, und der Gabe zu dich-
ten ihn ganz beraubten.

Was nun die Abbildungen der Muſen anbe-
trift, ſo findet man ſie am oͤfterſten dargeſtellt mit
einem Volumen, mit zwei Floͤten, oder mit
einer Leyer in der Hand. — Das Volumen oder
die Pergamentrolle bezeichnet entweder die Klio
als die Muſe der Geſchichte, oder die Polyhymnia
als die Muſe der Beredtſamkeit. — Bei den Floͤ-
ten denkt man ſich die Euterpe als die Muſe der
Tonkunſt; und bei der Leyer die Erato, als die
Muſe der Liebe einfloͤßenden Geſaͤnge. — Melpo-
mene, die tragiſche Muſe, wird an der tragiſchen,
Thalia die komiſche Muſe, an der komiſchen Larve
erkannt. — Kalliope, als die Muſe des Helden-
gedichts, ſoll ſich durch die Tuba, Terpſichore,
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[307/0365] vom Apollo geſchunden, weil er auf ein zu hohes Kunſttalent Anſpruch machte, und es wagte, mit dem Gott der Tonkunſt ſelber in einem Wettſtreit auf der Floͤte es aufzunehmen. — Dieſe Dichtun- gen ſelber ſcheinen bei den Alten eine Art von Er- bitterung gegen alles Mittelmaͤßige und Schlechte in der Kunſt vorauszuſetzen. — Auch Thamyris, ein Koͤnig in Thracien mußte fuͤr ſeine Eitelkeit buͤßen, da er ſich ruͤhmend und ſeiner Talente in der Muſik und Dichtkunſt ſich uͤberhebend, die Mu- ſen ſelber zum Wettſtreit aufzufordern wagte, die ihn mit Blindheit ſtraften, und der Gabe zu dich- ten ihn ganz beraubten. Was nun die Abbildungen der Muſen anbe- trift, ſo findet man ſie am oͤfterſten dargeſtellt mit einem Volumen, mit zwei Floͤten, oder mit einer Leyer in der Hand. — Das Volumen oder die Pergamentrolle bezeichnet entweder die Klio als die Muſe der Geſchichte, oder die Polyhymnia als die Muſe der Beredtſamkeit. — Bei den Floͤ- ten denkt man ſich die Euterpe als die Muſe der Tonkunſt; und bei der Leyer die Erato, als die Muſe der Liebe einfloͤßenden Geſaͤnge. — Melpo- mene, die tragiſche Muſe, wird an der tragiſchen, Thalia die komiſche Muſe, an der komiſchen Larve erkannt. — Kalliope, als die Muſe des Helden- gedichts, ſoll ſich durch die Tuba, Terpſichore, die Muſe der Tanzkunſt, durch eine tanzende Stel- U 2

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/365>, abgerufen am 30.11.2024.