Störer dieses heiligen Gastrechts zu vertilgen, ist das Werk der Helden, welche Wohlthäter der Menschen sind, wie Theseus war, der den Pro- krustes erst die von ihm selbst erfundne Marter dulden ließ, und dann von diesem Ungeheuer die Erde befreite.
Als Theseus nun in Athen anlangte, erkannte ihn Aegeus an dem Schwerdt und Schuhen für seinen Sohn, worüber die Söhne des Pallas eines Bruders des Aegeus, die schon mit der Hoffnung dem kinderlosen Aegeus in der Regie- rung zu folgen sich geschmeichelt hatten, einen Auf- ruhr erregten, den aber Theseus in seiner Entste- hung dämpfte.
Nun war es gerade das dritte Jahr, in wel- chem die Athenienser dem Minos, wegen der Er- mordung seines Sohns Androgeus, den traurigen Tribut bezahlen mußten, der darin bestand, sie- ben der schönsten Jünglinge oder Knaben, und sieben der schönsten Mädchen, aus edlem Blut entsprossen, nach Kreta überzuschiffen, wo sie im Labyrinth dem Minotaurus zur Beute wurden. So lange dieß Ungeheuer nicht erlegt war, hatten die Athenienser keine Befreiung von dem traurigen Tribut zu hoffen.
Als nun die Jünglinge und Mädchen schon das Todes-Looß gezogen hatten, und zu Schlacht- opfern für dieß Jahr bestimmt, eingeschifft wer-
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Stoͤrer dieſes heiligen Gaſtrechts zu vertilgen, iſt das Werk der Helden, welche Wohlthaͤter der Menſchen ſind, wie Theſeus war, der den Pro- kruſtes erſt die von ihm ſelbſt erfundne Marter dulden ließ, und dann von dieſem Ungeheuer die Erde befreite.
Als Theſeus nun in Athen anlangte, erkannte ihn Aegeus an dem Schwerdt und Schuhen fuͤr ſeinen Sohn, woruͤber die Soͤhne des Pallas eines Bruders des Aegeus, die ſchon mit der Hoffnung dem kinderloſen Aegeus in der Regie- rung zu folgen ſich geſchmeichelt hatten, einen Auf- ruhr erregten, den aber Theſeus in ſeiner Entſte- hung daͤmpfte.
Nun war es gerade das dritte Jahr, in wel- chem die Athenienſer dem Minos, wegen der Er- mordung ſeines Sohns Androgeus, den traurigen Tribut bezahlen mußten, der darin beſtand, ſie- ben der ſchoͤnſten Juͤnglinge oder Knaben, und ſieben der ſchoͤnſten Maͤdchen, aus edlem Blut entſproſſen, nach Kreta uͤberzuſchiffen, wo ſie im Labyrinth dem Minotaurus zur Beute wurden. So lange dieß Ungeheuer nicht erlegt war, hatten die Athenienſer keine Befreiung von dem traurigen Tribut zu hoffen.
Als nun die Juͤnglinge und Maͤdchen ſchon das Todes-Looß gezogen hatten, und zu Schlacht- opfern fuͤr dieß Jahr beſtimmt, eingeſchifft wer-
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Stoͤrer dieſes heiligen Gaſtrechts zu vertilgen, iſt
das Werk der Helden, welche Wohlthaͤter der
Menſchen ſind, wie Theſeus war, der den Pro-
kruſtes erſt die von ihm ſelbſt erfundne Marter
dulden ließ, und dann von dieſem Ungeheuer die
Erde befreite.
Als Theſeus nun in Athen anlangte, erkannte
ihn Aegeus an dem Schwerdt und Schuhen fuͤr
ſeinen Sohn, woruͤber die Soͤhne des Pallas
eines Bruders des Aegeus, die ſchon mit der
Hoffnung dem kinderloſen Aegeus in der Regie-
rung zu folgen ſich geſchmeichelt hatten, einen Auf-
ruhr erregten, den aber Theſeus in ſeiner Entſte-
hung daͤmpfte.
Nun war es gerade das dritte Jahr, in wel-
chem die Athenienſer dem Minos, wegen der Er-
mordung ſeines Sohns Androgeus, den traurigen
Tribut bezahlen mußten, der darin beſtand, ſie-
ben der ſchoͤnſten Juͤnglinge oder Knaben, und
ſieben der ſchoͤnſten Maͤdchen, aus edlem Blut
entſproſſen, nach Kreta uͤberzuſchiffen, wo ſie im
Labyrinth dem Minotaurus zur Beute wurden.
So lange dieß Ungeheuer nicht erlegt war, hatten
die Athenienſer keine Befreiung von dem traurigen
Tribut zu hoffen.
Als nun die Juͤnglinge und Maͤdchen ſchon
das Todes-Looß gezogen hatten, und zu Schlacht-
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/349>, abgerufen am 28.11.2024.
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