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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Minos beging Pasiphae das unnatürliche Verbre-
chen, und gebahr ein Ungeheuer, halb Mensch
halb Stier, das unter dem Nahmen des Mino-
taurus
zum öftern in diesen Dichtungen auftritt.

Dädalus, der kunstverständigste Bildner
und Baumeister, welcher damals lebte, hatte sich
wegen eines Verbrechens aus Athen nach Kreta
geflüchtet; und Minos, um die Schande seines
Hauses den Blicken der Menschen und dem Antlitz
des Tages zu verbergen, trug dem Dädalus auf,
ein unterirdisches Gewölbe, mit unzähligen irre-
führenden Gängen, ihm zu erbauen.

Dieß war das berühmte Labyrinth in dessen
Mitte der Minotaurus eingeschlossen, nur von de-
nen erblickt wurde, die ihm zur Strafe als Opfer
vorgeworfen wurden, und um ihren Tod zu fin-
den, das Labyrinth betraten.

Androgeus, ein Sohn des Minos, war
während der Zeit nach Athen gereist, um dort,
mit vielen andern Fremden, den Atheniensischen
Spielen beizuwohnen, wo er bei allen Kämpfen
den Preis davon trug, und durch den Beifall des
ganzen Volks, den er sich erwarb, die Eifersucht
und den Verdacht des kinderlosen Aegeus rege
machte, der damals Athen beherrschte, und den
hofnungsvollen Sohn des Minos meuchelmörderi-
scher Weise ermorden ließ.

Minos beging Paſiphae das unnatuͤrliche Verbre-
chen, und gebahr ein Ungeheuer, halb Menſch
halb Stier, das unter dem Nahmen des Mino-
taurus
zum oͤftern in dieſen Dichtungen auftritt.

Daͤdalus, der kunſtverſtaͤndigſte Bildner
und Baumeiſter, welcher damals lebte, hatte ſich
wegen eines Verbrechens aus Athen nach Kreta
gefluͤchtet; und Minos, um die Schande ſeines
Hauſes den Blicken der Menſchen und dem Antlitz
des Tages zu verbergen, trug dem Daͤdalus auf,
ein unterirdiſches Gewoͤlbe, mit unzaͤhligen irre-
fuͤhrenden Gaͤngen, ihm zu erbauen.

Dieß war das beruͤhmte Labyrinth in deſſen
Mitte der Minotaurus eingeſchloſſen, nur von de-
nen erblickt wurde, die ihm zur Strafe als Opfer
vorgeworfen wurden, und um ihren Tod zu fin-
den, das Labyrinth betraten.

Androgeus, ein Sohn des Minos, war
waͤhrend der Zeit nach Athen gereiſt, um dort,
mit vielen andern Fremden, den Athenienſiſchen
Spielen beizuwohnen, wo er bei allen Kaͤmpfen
den Preis davon trug, und durch den Beifall des
ganzen Volks, den er ſich erwarb, die Eiferſucht
und den Verdacht des kinderloſen Aegeus rege
machte, der damals Athen beherrſchte, und den
hofnungsvollen Sohn des Minos meuchelmoͤrderi-
ſcher Weiſe ermorden ließ.

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[281/0337] Minos beging Paſiphae das unnatuͤrliche Verbre- chen, und gebahr ein Ungeheuer, halb Menſch halb Stier, das unter dem Nahmen des Mino- taurus zum oͤftern in dieſen Dichtungen auftritt. Daͤdalus, der kunſtverſtaͤndigſte Bildner und Baumeiſter, welcher damals lebte, hatte ſich wegen eines Verbrechens aus Athen nach Kreta gefluͤchtet; und Minos, um die Schande ſeines Hauſes den Blicken der Menſchen und dem Antlitz des Tages zu verbergen, trug dem Daͤdalus auf, ein unterirdiſches Gewoͤlbe, mit unzaͤhligen irre- fuͤhrenden Gaͤngen, ihm zu erbauen. Dieß war das beruͤhmte Labyrinth in deſſen Mitte der Minotaurus eingeſchloſſen, nur von de- nen erblickt wurde, die ihm zur Strafe als Opfer vorgeworfen wurden, und um ihren Tod zu fin- den, das Labyrinth betraten. Androgeus, ein Sohn des Minos, war waͤhrend der Zeit nach Athen gereiſt, um dort, mit vielen andern Fremden, den Athenienſiſchen Spielen beizuwohnen, wo er bei allen Kaͤmpfen den Preis davon trug, und durch den Beifall des ganzen Volks, den er ſich erwarb, die Eiferſucht und den Verdacht des kinderloſen Aegeus rege machte, der damals Athen beherrſchte, und den hofnungsvollen Sohn des Minos meuchelmoͤrderi- ſcher Weiſe ermorden ließ.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/337>, abgerufen am 27.11.2024.