Die Dichtung läßt den Minos in einer Grotte auf dem Ida von Zeit zu Zeit mit dem Jupiter geheime Unterredungen pflegen, deren Inhalt er, als die Grundlage seiner Gesetzgebung, dem hor- chenden Volke bekannt macht. Wegen seiner wei- sen Regierung eignete die Dichtung dem Minos, nebst seinem Bruder und Rathgeber Radaman- thus, als den gerechtesten Menschen, das Rich- teramt über die Todten zu; zu diesen beiden ge- sellte sie den Aeakus, des Peleus Vater, und, nach einer andern Sage, auch den Triptolemus, der ein Wohlthäter der Menschen war.
Minos, des Gesetzgebers Enkel, war ein tapfrer und kriegrischer Fürst, der das mittellän- dische Meer von Seeräubern befreite, und die Fahrt auf demselben wieder sicher machte. -- Al- lein ihn betrafen Unglücksfälle, wodurch seine glor- reichsten Siege ihm vergällt, sein Leben verbittert wurde.
Die Vermählte des Minos war Pasiphae, eine Tochter der Sonne und Schwester des Aee- tes. -- Venus warf auf dieß Geschlecht einen alten Haß, weil Helios oder die Sonne einst ihr Liebesverständniß mit dem Mars entdeckt und ver- rathen hatte.
Sie flößte der Pasiphae zu einem Stier, den Neptun aus dem Meere steigen ließ, eine schänd- liche Liebe ein. -- Während der Abwesenheit des
Die Dichtung laͤßt den Minos in einer Grotte auf dem Ida von Zeit zu Zeit mit dem Jupiter geheime Unterredungen pflegen, deren Inhalt er, als die Grundlage ſeiner Geſetzgebung, dem hor- chenden Volke bekannt macht. Wegen ſeiner wei- ſen Regierung eignete die Dichtung dem Minos, nebſt ſeinem Bruder und Rathgeber Radaman- thus, als den gerechteſten Menſchen, das Rich- teramt uͤber die Todten zu; zu dieſen beiden ge- ſellte ſie den Aeakus, des Peleus Vater, und, nach einer andern Sage, auch den Triptolemus, der ein Wohlthaͤter der Menſchen war.
Minos, des Geſetzgebers Enkel, war ein tapfrer und kriegriſcher Fuͤrſt, der das mittellaͤn- diſche Meer von Seeraͤubern befreite, und die Fahrt auf demſelben wieder ſicher machte. — Al- lein ihn betrafen Ungluͤcksfaͤlle, wodurch ſeine glor- reichſten Siege ihm vergaͤllt, ſein Leben verbittert wurde.
Die Vermaͤhlte des Minos war Paſiphae, eine Tochter der Sonne und Schweſter des Aee- tes. — Venus warf auf dieß Geſchlecht einen alten Haß, weil Helios oder die Sonne einſt ihr Liebesverſtaͤndniß mit dem Mars entdeckt und ver- rathen hatte.
Sie floͤßte der Paſiphae zu einem Stier, den Neptun aus dem Meere ſteigen ließ, eine ſchaͤnd- liche Liebe ein. — Waͤhrend der Abweſenheit des
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Die Dichtung laͤßt den Minos in einer Grotte
auf dem Ida von Zeit zu Zeit mit dem Jupiter
geheime Unterredungen pflegen, deren Inhalt er,
als die Grundlage ſeiner Geſetzgebung, dem hor-
chenden Volke bekannt macht. Wegen ſeiner wei-
ſen Regierung eignete die Dichtung dem Minos,
nebſt ſeinem Bruder und Rathgeber Radaman-
thus, als den gerechteſten Menſchen, das Rich-
teramt uͤber die Todten zu; zu dieſen beiden ge-
ſellte ſie den Aeakus, des Peleus Vater, und, nach
einer andern Sage, auch den Triptolemus, der ein
Wohlthaͤter der Menſchen war.
Minos, des Geſetzgebers Enkel, war ein
tapfrer und kriegriſcher Fuͤrſt, der das mittellaͤn-
diſche Meer von Seeraͤubern befreite, und die
Fahrt auf demſelben wieder ſicher machte. — Al-
lein ihn betrafen Ungluͤcksfaͤlle, wodurch ſeine glor-
reichſten Siege ihm vergaͤllt, ſein Leben verbittert
wurde.
Die Vermaͤhlte des Minos war Paſiphae,
eine Tochter der Sonne und Schweſter des Aee-
tes. — Venus warf auf dieß Geſchlecht einen
alten Haß, weil Helios oder die Sonne einſt ihr
Liebesverſtaͤndniß mit dem Mars entdeckt und ver-
rathen hatte.
Sie floͤßte der Paſiphae zu einem Stier, den
Neptun aus dem Meere ſteigen ließ, eine ſchaͤnd-
liche Liebe ein. — Waͤhrend der Abweſenheit des
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/336>, abgerufen am 27.11.2024.
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