Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite
Delos.

Die Länder und Inseln zittern, auf denen La-
tona den fernhintreffenden Apoll gebähren will; --
kein hervorragendes Eiland wagt es, den Gott in
seinem Schooße zu tragen. -- Bis Latona end-
lich das rauhe unfruchtbare Delos besteigt, und
ihm verspricht, daß ein Tempel auf seinem felsig-
ten Boden erbauet werden soll, zu welchem alle
Völker Geschenke und Hekatomben bringen wer-
den, wenn es den fernhintreffenden Gott in seinen
Schooß aufnimmt.

Da schwebte Delos zwischen Freude und
Furcht, daß, wenn sein Nahme gleich zu ewigen
Zeiten glänzte, der Gott, sobald er das Licht er-
blickte, es wegen seines rauhen Bodens verach-
ten, und in den Abgrund des Meeres zürnend
versenken möchte. Latona mußte mit dem unver-
letzlichen Schwur der Götter dem besorgten Eilande
schwören, daß auf ihm der erste Tempel dem
Apollo erbaut werden, und auf seinem Altar be-
ständig die Opferflamme lodern solle.

Und nun war Delos hocherfreut, daß der
fernhintreffende Gott es zu seiner Wiege wählte. --
Denn Reichthümer strömten nun von allen Seiten
dem unfruchtbaren Eilande zu, -- und die Jung-
frauen von Delos sangen einen Lobgesang, worin
alle Völker ihre eigenen Worte und ihre eige-

Delos.

Die Laͤnder und Inſeln zittern, auf denen La-
tona den fernhintreffenden Apoll gebaͤhren will; —
kein hervorragendes Eiland wagt es, den Gott in
ſeinem Schooße zu tragen. — Bis Latona end-
lich das rauhe unfruchtbare Delos beſteigt, und
ihm verſpricht, daß ein Tempel auf ſeinem felſig-
ten Boden erbauet werden ſoll, zu welchem alle
Voͤlker Geſchenke und Hekatomben bringen wer-
den, wenn es den fernhintreffenden Gott in ſeinen
Schooß aufnimmt.

Da ſchwebte Delos zwiſchen Freude und
Furcht, daß, wenn ſein Nahme gleich zu ewigen
Zeiten glaͤnzte, der Gott, ſobald er das Licht er-
blickte, es wegen ſeines rauhen Bodens verach-
ten, und in den Abgrund des Meeres zuͤrnend
verſenken moͤchte. Latona mußte mit dem unver-
letzlichen Schwur der Goͤtter dem beſorgten Eilande
ſchwoͤren, daß auf ihm der erſte Tempel dem
Apollo erbaut werden, und auf ſeinem Altar be-
ſtaͤndig die Opferflamme lodern ſolle.

Und nun war Delos hocherfreut, daß der
fernhintreffende Gott es zu ſeiner Wiege waͤhlte. —
Denn Reichthuͤmer ſtroͤmten nun von allen Seiten
dem unfruchtbaren Eilande zu, — und die Jung-
frauen von Delos ſangen einen Lobgeſang, worin
alle Voͤlker ihre eigenen Worte und ihre eige-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0231" n="183"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Delos</hi>.</hi> </head><lb/>
          <p>Die La&#x0364;nder und In&#x017F;eln zittern, auf denen La-<lb/>
tona den fernhintreffenden Apoll geba&#x0364;hren will; &#x2014;<lb/>
kein hervorragendes Eiland wagt es, den Gott in<lb/>
&#x017F;einem Schooße zu tragen. &#x2014; Bis Latona end-<lb/>
lich das rauhe unfruchtbare Delos be&#x017F;teigt, und<lb/>
ihm ver&#x017F;pricht, daß ein Tempel auf &#x017F;einem fel&#x017F;ig-<lb/>
ten Boden erbauet werden &#x017F;oll, zu welchem alle<lb/>
Vo&#x0364;lker Ge&#x017F;chenke und Hekatomben bringen wer-<lb/>
den, wenn es den fernhintreffenden Gott in &#x017F;einen<lb/>
Schooß aufnimmt.</p><lb/>
          <p>Da &#x017F;chwebte Delos zwi&#x017F;chen Freude und<lb/>
Furcht, daß, wenn &#x017F;ein Nahme gleich zu ewigen<lb/>
Zeiten gla&#x0364;nzte, der Gott, &#x017F;obald er das Licht er-<lb/>
blickte, es wegen &#x017F;eines rauhen Bodens verach-<lb/>
ten, und in den Abgrund des Meeres zu&#x0364;rnend<lb/>
ver&#x017F;enken mo&#x0364;chte. Latona mußte mit dem unver-<lb/>
letzlichen Schwur der Go&#x0364;tter dem be&#x017F;orgten Eilande<lb/>
&#x017F;chwo&#x0364;ren, daß auf ihm der er&#x017F;te Tempel dem<lb/>
Apollo erbaut werden, und auf &#x017F;einem Altar be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndig die Opferflamme lodern &#x017F;olle.</p><lb/>
          <p>Und nun war Delos hocherfreut, daß der<lb/>
fernhintreffende Gott es zu &#x017F;einer Wiege wa&#x0364;hlte. &#x2014;<lb/>
Denn Reichthu&#x0364;mer &#x017F;tro&#x0364;mten nun von allen Seiten<lb/>
dem unfruchtbaren Eilande zu, &#x2014; und die Jung-<lb/>
frauen von Delos &#x017F;angen einen Lobge&#x017F;ang, <hi rendition="#fr">worin<lb/>
alle Vo&#x0364;lker ihre eigenen Worte und ihre eige-<lb/></hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0231] Delos. Die Laͤnder und Inſeln zittern, auf denen La- tona den fernhintreffenden Apoll gebaͤhren will; — kein hervorragendes Eiland wagt es, den Gott in ſeinem Schooße zu tragen. — Bis Latona end- lich das rauhe unfruchtbare Delos beſteigt, und ihm verſpricht, daß ein Tempel auf ſeinem felſig- ten Boden erbauet werden ſoll, zu welchem alle Voͤlker Geſchenke und Hekatomben bringen wer- den, wenn es den fernhintreffenden Gott in ſeinen Schooß aufnimmt. Da ſchwebte Delos zwiſchen Freude und Furcht, daß, wenn ſein Nahme gleich zu ewigen Zeiten glaͤnzte, der Gott, ſobald er das Licht er- blickte, es wegen ſeines rauhen Bodens verach- ten, und in den Abgrund des Meeres zuͤrnend verſenken moͤchte. Latona mußte mit dem unver- letzlichen Schwur der Goͤtter dem beſorgten Eilande ſchwoͤren, daß auf ihm der erſte Tempel dem Apollo erbaut werden, und auf ſeinem Altar be- ſtaͤndig die Opferflamme lodern ſolle. Und nun war Delos hocherfreut, daß der fernhintreffende Gott es zu ſeiner Wiege waͤhlte. — Denn Reichthuͤmer ſtroͤmten nun von allen Seiten dem unfruchtbaren Eilande zu, — und die Jung- frauen von Delos ſangen einen Lobgeſang, worin alle Voͤlker ihre eigenen Worte und ihre eige-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/231
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/231>, abgerufen am 24.11.2024.