gleich mächtig, sich die mehrste Zeit einander im schö- nen Gleichgewicht. -- Heldenruhm, Triumphe, frohlockende Gesänge, und hohe Lebensfreuden, wa- ren im immerwährenden Gefolge: durch diesen süßen Wechsel wurde das Gemüth stets offen und frei er- halten; geheime Wünsche und Gedanken durften noch unter keiner Larve von falscher Bescheidenheit und Demuth sich verstecken. --
Sobald man ein Bachanal sich ohne Ueppig- keit denken wollte, würde es aufhören, ein Ge- genstand der Kunst zu seyn; denn gerade die Wildheit, das Taumeln, das Schwingen des Thyrsusstabes, die Ausgelassenheit, der Muth- wille, macht das Schöne bei diesen frohen Wesen aus, die nur in der Einbildungskraft ihr Daseyn hatten, und bei den Festen der Alten in einer Art von Schauspiel dargestellt, den düstern Ernst verscheuchten.
Auf den Marmorsärgen der Alten findet man häufig Bachanale abgebildet. -- Um selbst noch hier den Ernst mit frohem Lächeln, die Trauer mit der Fröhlichkeit zu vermählen, ist gerade der Punkt gewählt, wo Tod und Leben auf dem Gip- fel der Lust am nächsten aneinander grenzen. -- Denn der höchste Genuß grenzt an das Tragi- sche, -- er droht Verderben und Untergang, -- das- selbe, was die Menschengattung, mit jugendlichem Feuer beseelet, untergräbt und zerstört sie auch. --
gleich maͤchtig, ſich die mehrſte Zeit einander im ſchoͤ- nen Gleichgewicht. — Heldenruhm, Triumphe, frohlockende Geſaͤnge, und hohe Lebensfreuden, wa- ren im immerwaͤhrenden Gefolge: durch dieſen ſuͤßen Wechſel wurde das Gemuͤth ſtets offen und frei er- halten; geheime Wuͤnſche und Gedanken durften noch unter keiner Larve von falſcher Beſcheidenheit und Demuth ſich verſtecken. —
Sobald man ein Bachanal ſich ohne Ueppig- keit denken wollte, wuͤrde es aufhoͤren, ein Ge- genſtand der Kunſt zu ſeyn; denn gerade die Wildheit, das Taumeln, das Schwingen des Thyrſusſtabes, die Ausgelaſſenheit, der Muth- wille, macht das Schoͤne bei dieſen frohen Weſen aus, die nur in der Einbildungskraft ihr Daſeyn hatten, und bei den Feſten der Alten in einer Art von Schauſpiel dargeſtellt, den duͤſtern Ernſt verſcheuchten.
Auf den Marmorſaͤrgen der Alten findet man haͤufig Bachanale abgebildet. — Um ſelbſt noch hier den Ernſt mit frohem Laͤcheln, die Trauer mit der Froͤhlichkeit zu vermaͤhlen, iſt gerade der Punkt gewaͤhlt, wo Tod und Leben auf dem Gip- fel der Luſt am naͤchſten aneinander grenzen. — Denn der hoͤchſte Genuß grenzt an das Tragi- ſche, — er droht Verderben und Untergang, — das- ſelbe, was die Menſchengattung, mit jugendlichem Feuer beſeelet, untergraͤbt und zerſtoͤrt ſie auch. —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0222"n="176"/>
gleich maͤchtig, ſich die mehrſte Zeit einander im ſchoͤ-<lb/>
nen Gleichgewicht. — Heldenruhm, Triumphe,<lb/>
frohlockende Geſaͤnge, und hohe Lebensfreuden, wa-<lb/>
ren im immerwaͤhrenden Gefolge: durch dieſen ſuͤßen<lb/>
Wechſel wurde das Gemuͤth ſtets offen und frei er-<lb/>
halten; geheime Wuͤnſche und Gedanken durften<lb/>
noch unter keiner Larve von falſcher Beſcheidenheit<lb/>
und Demuth ſich verſtecken. —</p><lb/><p>Sobald man ein Bachanal ſich ohne Ueppig-<lb/>
keit denken wollte, wuͤrde es aufhoͤren, ein Ge-<lb/>
genſtand der Kunſt zu ſeyn; denn gerade die<lb/>
Wildheit, das Taumeln, das Schwingen des<lb/>
Thyrſusſtabes, die Ausgelaſſenheit, der Muth-<lb/>
wille, macht das Schoͤne bei dieſen frohen Weſen<lb/>
aus, die nur in der Einbildungskraft ihr Daſeyn<lb/>
hatten, und bei den Feſten der Alten in einer<lb/>
Art von Schauſpiel dargeſtellt, den duͤſtern Ernſt<lb/>
verſcheuchten.</p><lb/><p>Auf den Marmorſaͤrgen der Alten findet man<lb/>
haͤufig Bachanale abgebildet. — Um ſelbſt noch<lb/>
hier den Ernſt mit frohem Laͤcheln, die Trauer<lb/>
mit der Froͤhlichkeit zu vermaͤhlen, iſt gerade der<lb/>
Punkt gewaͤhlt, wo Tod und Leben auf dem Gip-<lb/>
fel der Luſt am naͤchſten aneinander grenzen. —<lb/>
Denn der hoͤchſte Genuß grenzt an das Tragi-<lb/>ſche, — er droht Verderben und Untergang, — das-<lb/>ſelbe, was die Menſchengattung, mit jugendlichem<lb/>
Feuer beſeelet, untergraͤbt und zerſtoͤrt ſie auch. —</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[176/0222]
gleich maͤchtig, ſich die mehrſte Zeit einander im ſchoͤ-
nen Gleichgewicht. — Heldenruhm, Triumphe,
frohlockende Geſaͤnge, und hohe Lebensfreuden, wa-
ren im immerwaͤhrenden Gefolge: durch dieſen ſuͤßen
Wechſel wurde das Gemuͤth ſtets offen und frei er-
halten; geheime Wuͤnſche und Gedanken durften
noch unter keiner Larve von falſcher Beſcheidenheit
und Demuth ſich verſtecken. —
Sobald man ein Bachanal ſich ohne Ueppig-
keit denken wollte, wuͤrde es aufhoͤren, ein Ge-
genſtand der Kunſt zu ſeyn; denn gerade die
Wildheit, das Taumeln, das Schwingen des
Thyrſusſtabes, die Ausgelaſſenheit, der Muth-
wille, macht das Schoͤne bei dieſen frohen Weſen
aus, die nur in der Einbildungskraft ihr Daſeyn
hatten, und bei den Feſten der Alten in einer
Art von Schauſpiel dargeſtellt, den duͤſtern Ernſt
verſcheuchten.
Auf den Marmorſaͤrgen der Alten findet man
haͤufig Bachanale abgebildet. — Um ſelbſt noch
hier den Ernſt mit frohem Laͤcheln, die Trauer
mit der Froͤhlichkeit zu vermaͤhlen, iſt gerade der
Punkt gewaͤhlt, wo Tod und Leben auf dem Gip-
fel der Luſt am naͤchſten aneinander grenzen. —
Denn der hoͤchſte Genuß grenzt an das Tragi-
ſche, — er droht Verderben und Untergang, — das-
ſelbe, was die Menſchengattung, mit jugendlichem
Feuer beſeelet, untergraͤbt und zerſtoͤrt ſie auch. —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/222>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.