Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Saft der Beeren des Trunknen Schläfe roth, --
und da nun Silen erwacht, so fordern die Hirten
nichts weiter als ein Lied von ihm zum Lösegelde.

Und nun ertönet hohe Weisheit von den Lip-
pen, die der Nektartrank der süßen Trauben
netzte. -- Er singt der Dinge Entstehung, und
ihren wunderbaren Wechsel. -- Die Hirten lau-
schen entzückt auf den Gesang, und halten dieses
Lied ihrer höchsten Wünsche werth. --

Auch diese schöne Dichtung zeigt, wie die
Alten das Komische selber wieder mit Würde zu
überkleiden wußten, und einen Vereinigungspunkt
für lachenden Scherz und himmlische Hoheit fan-
den, der uns entschwunden scheint. -- In Elis
in Griechenland hatte Silen einen eigenen Tempel,
wo man ihm göttliche Ehre erzeigte. --

Der schalkhaft lächelnde Faun, der boshaft
spottende Satyr gehörten mit in das Gefolge des
Bachus, worin sich alles vereinigte, was bei
jugendlicher Schalkhaftigkeit und frohem Leicht-
sinn durch eine höhere Natur, über die Sorgen
und Pflichten der Sterblichen erhaben, und durch
menschliche Bedürfnisse auf keinen Grad der
Mäßigung beschränkt war.

Denn in dem hohen Sinnbilde, welches den
frölichen Genuß des Lebens selbst bezeichnet, der
über den ganzen Erdkreis sich mittheilend und ver-
breitend, keine Grenzen kennt, mußte auch die

Saft der Beeren des Trunknen Schlaͤfe roth, —
und da nun Silen erwacht, ſo fordern die Hirten
nichts weiter als ein Lied von ihm zum Loͤſegelde.

Und nun ertoͤnet hohe Weisheit von den Lip-
pen, die der Nektartrank der ſuͤßen Trauben
netzte. — Er ſingt der Dinge Entſtehung, und
ihren wunderbaren Wechſel. — Die Hirten lau-
ſchen entzuͤckt auf den Geſang, und halten dieſes
Lied ihrer hoͤchſten Wuͤnſche werth. —

Auch dieſe ſchoͤne Dichtung zeigt, wie die
Alten das Komiſche ſelber wieder mit Wuͤrde zu
uͤberkleiden wußten, und einen Vereinigungspunkt
fuͤr lachenden Scherz und himmliſche Hoheit fan-
den, der uns entſchwunden ſcheint. — In Elis
in Griechenland hatte Silen einen eigenen Tempel,
wo man ihm goͤttliche Ehre erzeigte. —

Der ſchalkhaft laͤchelnde Faun, der boshaft
ſpottende Satyr gehoͤrten mit in das Gefolge des
Bachus, worin ſich alles vereinigte, was bei
jugendlicher Schalkhaftigkeit und frohem Leicht-
ſinn durch eine hoͤhere Natur, uͤber die Sorgen
und Pflichten der Sterblichen erhaben, und durch
menſchliche Beduͤrfniſſe auf keinen Grad der
Maͤßigung beſchraͤnkt war.

Denn in dem hohen Sinnbilde, welches den
froͤlichen Genuß des Lebens ſelbſt bezeichnet, der
uͤber den ganzen Erdkreis ſich mittheilend und ver-
breitend, keine Grenzen kennt, mußte auch die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0220" n="174"/>
Saft der Beeren des Trunknen Schla&#x0364;fe roth, &#x2014;<lb/>
und da nun Silen erwacht, &#x017F;o fordern die Hirten<lb/>
nichts weiter als ein Lied von ihm zum Lo&#x0364;&#x017F;egelde.</p><lb/>
          <p>Und nun erto&#x0364;net hohe Weisheit von den Lip-<lb/>
pen, die der Nektartrank der &#x017F;u&#x0364;ßen Trauben<lb/>
netzte. &#x2014; Er &#x017F;ingt der Dinge Ent&#x017F;tehung, und<lb/>
ihren wunderbaren Wech&#x017F;el. &#x2014; Die Hirten lau-<lb/>
&#x017F;chen entzu&#x0364;ckt auf den Ge&#x017F;ang, und halten die&#x017F;es<lb/>
Lied ihrer ho&#x0364;ch&#x017F;ten Wu&#x0364;n&#x017F;che werth. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Auch die&#x017F;e &#x017F;cho&#x0364;ne Dichtung zeigt, wie die<lb/>
Alten das Komi&#x017F;che &#x017F;elber wieder mit Wu&#x0364;rde zu<lb/>
u&#x0364;berkleiden wußten, und einen Vereinigungspunkt<lb/>
fu&#x0364;r lachenden Scherz und himmli&#x017F;che Hoheit fan-<lb/>
den, der uns ent&#x017F;chwunden &#x017F;cheint. &#x2014; In Elis<lb/>
in Griechenland hatte Silen einen eigenen Tempel,<lb/>
wo man ihm go&#x0364;ttliche Ehre erzeigte. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Der &#x017F;chalkhaft la&#x0364;chelnde <hi rendition="#fr">Faun,</hi> der boshaft<lb/>
&#x017F;pottende <hi rendition="#fr">Satyr</hi> geho&#x0364;rten mit in das Gefolge des<lb/>
Bachus, worin &#x017F;ich alles vereinigte, was bei<lb/>
jugendlicher Schalkhaftigkeit und frohem Leicht-<lb/>
&#x017F;inn durch eine ho&#x0364;here Natur, u&#x0364;ber die Sorgen<lb/>
und Pflichten der Sterblichen erhaben, und durch<lb/>
men&#x017F;chliche Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e auf keinen Grad der<lb/>
Ma&#x0364;ßigung be&#x017F;chra&#x0364;nkt war.</p><lb/>
          <p>Denn in dem hohen Sinnbilde, welches den<lb/>
fro&#x0364;lichen Genuß des Lebens &#x017F;elb&#x017F;t bezeichnet, der<lb/>
u&#x0364;ber den ganzen Erdkreis &#x017F;ich mittheilend und ver-<lb/>
breitend, <hi rendition="#fr">keine Grenzen kennt,</hi> mußte auch die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0220] Saft der Beeren des Trunknen Schlaͤfe roth, — und da nun Silen erwacht, ſo fordern die Hirten nichts weiter als ein Lied von ihm zum Loͤſegelde. Und nun ertoͤnet hohe Weisheit von den Lip- pen, die der Nektartrank der ſuͤßen Trauben netzte. — Er ſingt der Dinge Entſtehung, und ihren wunderbaren Wechſel. — Die Hirten lau- ſchen entzuͤckt auf den Geſang, und halten dieſes Lied ihrer hoͤchſten Wuͤnſche werth. — Auch dieſe ſchoͤne Dichtung zeigt, wie die Alten das Komiſche ſelber wieder mit Wuͤrde zu uͤberkleiden wußten, und einen Vereinigungspunkt fuͤr lachenden Scherz und himmliſche Hoheit fan- den, der uns entſchwunden ſcheint. — In Elis in Griechenland hatte Silen einen eigenen Tempel, wo man ihm goͤttliche Ehre erzeigte. — Der ſchalkhaft laͤchelnde Faun, der boshaft ſpottende Satyr gehoͤrten mit in das Gefolge des Bachus, worin ſich alles vereinigte, was bei jugendlicher Schalkhaftigkeit und frohem Leicht- ſinn durch eine hoͤhere Natur, uͤber die Sorgen und Pflichten der Sterblichen erhaben, und durch menſchliche Beduͤrfniſſe auf keinen Grad der Maͤßigung beſchraͤnkt war. Denn in dem hohen Sinnbilde, welches den froͤlichen Genuß des Lebens ſelbſt bezeichnet, der uͤber den ganzen Erdkreis ſich mittheilend und ver- breitend, keine Grenzen kennt, mußte auch die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/220
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/220>, abgerufen am 23.11.2024.