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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Hebrus und das ganze mit Schnee bedeckte Thra-
zien vor sich liegen sieht. -- Die Gefahr ist süß,
ruft der Dichter aus, dem Gott zu folgen, der
mit grünendem Laube die Schläfe umkränzt
hat. --

Eben diese Anstrengung aller Kräfte, dieß
Emporstreben in der wilden furchtbaren Begeiste-
rung ist es, wodurch dieß Bild so schön wird.

Auch das Alter wird in dem Gefolge des Ba-
chus berauscht vom Lebensgenuß und taumelnd mit
aufgeführt. -- Auf seinem Esel reitet der alte
Silen mit schwerem Haupte, von Satyrn und
Faunen gestützt, und macht in dem jugendlichen
Gemählde den reitzendsten Kontrast.

Ohngeachtet dieses Lächerlichen wurde Silen
in den Dichtungen der Alten, als ein hohes We-
sen
dargestellt. -- Ihm wird eine hohe Kenntniß
göttlicher Dinge zugeschrieben, und seine Trun-
kenheit selber wurde sinnbildlich auf den hohen
Taumel, worin sein Nachdenken über die erha-
bensten Dinge ihn versetzte, gedeutet. -- Auch
war er nebst dem weisheitbegabten Chiron, der
Erzieher des jungen Bachus.

Zwei Hirtenknaben binden einst den trunke-
nen, schlummernden Silen, -- weil sich ein
Gott, den Sterbliche im Schlummer binden kön-
nen, durch die Gewährung einer Bitte lösen
muß; -- schalkhaft mahlt die Nymphe mit dem

Hebrus und das ganze mit Schnee bedeckte Thra-
zien vor ſich liegen ſieht. — Die Gefahr iſt ſuͤß,
ruft der Dichter aus, dem Gott zu folgen, der
mit gruͤnendem Laube die Schlaͤfe umkraͤnzt
hat. —

Eben dieſe Anſtrengung aller Kraͤfte, dieß
Emporſtreben in der wilden furchtbaren Begeiſte-
rung iſt es, wodurch dieß Bild ſo ſchoͤn wird.

Auch das Alter wird in dem Gefolge des Ba-
chus berauſcht vom Lebensgenuß und taumelnd mit
aufgefuͤhrt. — Auf ſeinem Eſel reitet der alte
Silen mit ſchwerem Haupte, von Satyrn und
Faunen geſtuͤtzt, und macht in dem jugendlichen
Gemaͤhlde den reitzendſten Kontraſt.

Ohngeachtet dieſes Laͤcherlichen wurde Silen
in den Dichtungen der Alten, als ein hohes We-
ſen
dargeſtellt. — Ihm wird eine hohe Kenntniß
goͤttlicher Dinge zugeſchrieben, und ſeine Trun-
kenheit ſelber wurde ſinnbildlich auf den hohen
Taumel, worin ſein Nachdenken uͤber die erha-
benſten Dinge ihn verſetzte, gedeutet. — Auch
war er nebſt dem weisheitbegabten Chiron, der
Erzieher des jungen Bachus.

Zwei Hirtenknaben binden einſt den trunke-
nen, ſchlummernden Silen, — weil ſich ein
Gott, den Sterbliche im Schlummer binden koͤn-
nen, durch die Gewaͤhrung einer Bitte loͤſen
muß; — ſchalkhaft mahlt die Nymphe mit dem

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[173/0219] Hebrus und das ganze mit Schnee bedeckte Thra- zien vor ſich liegen ſieht. — Die Gefahr iſt ſuͤß, ruft der Dichter aus, dem Gott zu folgen, der mit gruͤnendem Laube die Schlaͤfe umkraͤnzt hat. — Eben dieſe Anſtrengung aller Kraͤfte, dieß Emporſtreben in der wilden furchtbaren Begeiſte- rung iſt es, wodurch dieß Bild ſo ſchoͤn wird. Auch das Alter wird in dem Gefolge des Ba- chus berauſcht vom Lebensgenuß und taumelnd mit aufgefuͤhrt. — Auf ſeinem Eſel reitet der alte Silen mit ſchwerem Haupte, von Satyrn und Faunen geſtuͤtzt, und macht in dem jugendlichen Gemaͤhlde den reitzendſten Kontraſt. Ohngeachtet dieſes Laͤcherlichen wurde Silen in den Dichtungen der Alten, als ein hohes We- ſen dargeſtellt. — Ihm wird eine hohe Kenntniß goͤttlicher Dinge zugeſchrieben, und ſeine Trun- kenheit ſelber wurde ſinnbildlich auf den hohen Taumel, worin ſein Nachdenken uͤber die erha- benſten Dinge ihn verſetzte, gedeutet. — Auch war er nebſt dem weisheitbegabten Chiron, der Erzieher des jungen Bachus. Zwei Hirtenknaben binden einſt den trunke- nen, ſchlummernden Silen, — weil ſich ein Gott, den Sterbliche im Schlummer binden koͤn- nen, durch die Gewaͤhrung einer Bitte loͤſen muß; — ſchalkhaft mahlt die Nymphe mit dem

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/219>, abgerufen am 27.04.2024.