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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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vorüberströmenden Alpheus, damit auch hier sich
keine Spur mehr zeige.

Dieß alles that er bei Nacht und hellem
Mondenschein. --

Als nun der Tag anbrach, da schlich er sich
leise wieder in die Wohnung seiner Mutter, und
legte sich in die Wiege, die Windeln um sich her,
die Laute, als sein liebstes Spielwerk, mit der
Linken haltend.

Und als nun Apollo wegen der geraubten
Rinder zürnend kam, so stellte sich der Räuber, als
ob er in der Wiege in süßem Schlummer läge,
die Laute unterm Arme. Apollo drohte, ihn in
den Tartarus zu schleudern, wenn er nicht schnell
den Ort anzeigte, wo die entwandten Rinder
wären.

Da antwortete der listige Knabe mit den Au-
gen blinzelnd: wie grausam redest du, Latonens
Sohn, einen kleinen Knaben an, der gestern
gebohren ist, und dem ganz andre Dinge lieb
sind, als Rinder hinwegzutreiben; der sich nach
süßem Schlummer, und nach der Brust der
Mutter sehnt; und dessen Füße viel zu weich und
zart sind, als daß sie rauhe Pfade betreten
könnten. -- Doch will ich bei meines Vaters
Jupiters Haupte schwören, daß ich die Rinder
weder selber entwandt habe, noch den Thäter
weiß.

voruͤberſtroͤmenden Alpheus, damit auch hier ſich
keine Spur mehr zeige.

Dieß alles that er bei Nacht und hellem
Mondenſchein. —

Als nun der Tag anbrach, da ſchlich er ſich
leiſe wieder in die Wohnung ſeiner Mutter, und
legte ſich in die Wiege, die Windeln um ſich her,
die Laute, als ſein liebſtes Spielwerk, mit der
Linken haltend.

Und als nun Apollo wegen der geraubten
Rinder zuͤrnend kam, ſo ſtellte ſich der Raͤuber, als
ob er in der Wiege in ſuͤßem Schlummer laͤge,
die Laute unterm Arme. Apollo drohte, ihn in
den Tartarus zu ſchleudern, wenn er nicht ſchnell
den Ort anzeigte, wo die entwandten Rinder
waͤren.

Da antwortete der liſtige Knabe mit den Au-
gen blinzelnd: wie grauſam redeſt du, Latonens
Sohn, einen kleinen Knaben an, der geſtern
gebohren iſt, und dem ganz andre Dinge lieb
ſind, als Rinder hinwegzutreiben; der ſich nach
ſuͤßem Schlummer, und nach der Bruſt der
Mutter ſehnt; und deſſen Fuͤße viel zu weich und
zart ſind, als daß ſie rauhe Pfade betreten
koͤnnten. — Doch will ich bei meines Vaters
Jupiters Haupte ſchwoͤren, daß ich die Rinder
weder ſelber entwandt habe, noch den Thaͤter
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[160/0204] voruͤberſtroͤmenden Alpheus, damit auch hier ſich keine Spur mehr zeige. Dieß alles that er bei Nacht und hellem Mondenſchein. — Als nun der Tag anbrach, da ſchlich er ſich leiſe wieder in die Wohnung ſeiner Mutter, und legte ſich in die Wiege, die Windeln um ſich her, die Laute, als ſein liebſtes Spielwerk, mit der Linken haltend. Und als nun Apollo wegen der geraubten Rinder zuͤrnend kam, ſo ſtellte ſich der Raͤuber, als ob er in der Wiege in ſuͤßem Schlummer laͤge, die Laute unterm Arme. Apollo drohte, ihn in den Tartarus zu ſchleudern, wenn er nicht ſchnell den Ort anzeigte, wo die entwandten Rinder waͤren. Da antwortete der liſtige Knabe mit den Au- gen blinzelnd: wie grauſam redeſt du, Latonens Sohn, einen kleinen Knaben an, der geſtern gebohren iſt, und dem ganz andre Dinge lieb ſind, als Rinder hinwegzutreiben; der ſich nach ſuͤßem Schlummer, und nach der Bruſt der Mutter ſehnt; und deſſen Fuͤße viel zu weich und zart ſind, als daß ſie rauhe Pfade betreten koͤnnten. — Doch will ich bei meines Vaters Jupiters Haupte ſchwoͤren, daß ich die Rinder weder ſelber entwandt habe, noch den Thaͤter weiß.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/204>, abgerufen am 27.04.2024.