vorüberströmenden Alpheus, damit auch hier sich keine Spur mehr zeige.
Dieß alles that er bei Nacht und hellem Mondenschein. --
Als nun der Tag anbrach, da schlich er sich leise wieder in die Wohnung seiner Mutter, und legte sich in die Wiege, die Windeln um sich her, die Laute, als sein liebstes Spielwerk, mit der Linken haltend.
Und als nun Apollo wegen der geraubten Rinder zürnend kam, so stellte sich der Räuber, als ob er in der Wiege in süßem Schlummer läge, die Laute unterm Arme. Apollo drohte, ihn in den Tartarus zu schleudern, wenn er nicht schnell den Ort anzeigte, wo die entwandten Rinder wären.
Da antwortete der listige Knabe mit den Au- gen blinzelnd: wie grausam redest du, Latonens Sohn, einen kleinen Knaben an, der gestern gebohren ist, und dem ganz andre Dinge lieb sind, als Rinder hinwegzutreiben; der sich nach süßem Schlummer, und nach der Brust der Mutter sehnt; und dessen Füße viel zu weich und zart sind, als daß sie rauhe Pfade betreten könnten. -- Doch will ich bei meines Vaters Jupiters Haupte schwören, daß ich die Rinder weder selber entwandt habe, noch den Thäter weiß.
voruͤberſtroͤmenden Alpheus, damit auch hier ſich keine Spur mehr zeige.
Dieß alles that er bei Nacht und hellem Mondenſchein. —
Als nun der Tag anbrach, da ſchlich er ſich leiſe wieder in die Wohnung ſeiner Mutter, und legte ſich in die Wiege, die Windeln um ſich her, die Laute, als ſein liebſtes Spielwerk, mit der Linken haltend.
Und als nun Apollo wegen der geraubten Rinder zuͤrnend kam, ſo ſtellte ſich der Raͤuber, als ob er in der Wiege in ſuͤßem Schlummer laͤge, die Laute unterm Arme. Apollo drohte, ihn in den Tartarus zu ſchleudern, wenn er nicht ſchnell den Ort anzeigte, wo die entwandten Rinder waͤren.
Da antwortete der liſtige Knabe mit den Au- gen blinzelnd: wie grauſam redeſt du, Latonens Sohn, einen kleinen Knaben an, der geſtern gebohren iſt, und dem ganz andre Dinge lieb ſind, als Rinder hinwegzutreiben; der ſich nach ſuͤßem Schlummer, und nach der Bruſt der Mutter ſehnt; und deſſen Fuͤße viel zu weich und zart ſind, als daß ſie rauhe Pfade betreten koͤnnten. — Doch will ich bei meines Vaters Jupiters Haupte ſchwoͤren, daß ich die Rinder weder ſelber entwandt habe, noch den Thaͤter weiß.
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voruͤberſtroͤmenden Alpheus, damit auch hier ſich
keine Spur mehr zeige.
Dieß alles that er bei Nacht und hellem
Mondenſchein. —
Als nun der Tag anbrach, da ſchlich er ſich
leiſe wieder in die Wohnung ſeiner Mutter, und
legte ſich in die Wiege, die Windeln um ſich her,
die Laute, als ſein liebſtes Spielwerk, mit der
Linken haltend.
Und als nun Apollo wegen der geraubten
Rinder zuͤrnend kam, ſo ſtellte ſich der Raͤuber, als
ob er in der Wiege in ſuͤßem Schlummer laͤge,
die Laute unterm Arme. Apollo drohte, ihn in
den Tartarus zu ſchleudern, wenn er nicht ſchnell
den Ort anzeigte, wo die entwandten Rinder
waͤren.
Da antwortete der liſtige Knabe mit den Au-
gen blinzelnd: wie grauſam redeſt du, Latonens
Sohn, einen kleinen Knaben an, der geſtern
gebohren iſt, und dem ganz andre Dinge lieb
ſind, als Rinder hinwegzutreiben; der ſich nach
ſuͤßem Schlummer, und nach der Bruſt der
Mutter ſehnt; und deſſen Fuͤße viel zu weich und
zart ſind, als daß ſie rauhe Pfade betreten
koͤnnten. — Doch will ich bei meines Vaters
Jupiters Haupte ſchwoͤren, daß ich die Rinder
weder ſelber entwandt habe, noch den Thaͤter
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/204>, abgerufen am 24.11.2024.
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