die Umwölbung leer war, spannte er sieben aus Sehnen geflochtene miteinander tönende Saiten darüber, und schlug sie mit dem klangentlockenden Stäbchen, jeden einzelnen Ton versuchend, der tief im Bauch der Wölbung wiederhallte.
Nun konnte er auch der Lust zu singen nicht widerstehen, und besang, die Laute schlagend, was nur sein Auge erblickte; die Dreifüße und Gefäße in seiner Mutter Hause; aber er sang auch schon mit höherm Schwunge, Jupiters Lie- besbündniß mit der holden Maja, als seiner eige- nen Gottheit Ursprung.
Als nun am Abend die Sonne sich in den Ocean tauchte, war er schon auf den Piräischen Gebirgen, wo die Heerden der unsterblichen Göt- ter weiden. Funfzig entwandte er von Apollos Rindern, und trieb sie mit manchem listigen Kunstgriff über Berg und Thal, daß niemand die Spur des Raubes entdecken konnte, wenn nicht ein Greis, der auf dem Felde grub, den Knaben mit den Rindern vor sich her bemerkt, und ihn dem Apollo verrathen hätte.
Als er nun am Alpheusstrome zwei von den Rindern geschlachtet, und sie sich selber geop- fert hatte, so löschte er wieder das Feuer aus, verscharrte die Asche in den Sand, und warf die Schuh von grünern Reisern, womit er die Fuß- stapfen unkenntlich zu machen gesucht, in den
die Umwoͤlbung leer war, ſpannte er ſieben aus Sehnen geflochtene miteinander toͤnende Saiten daruͤber, und ſchlug ſie mit dem klangentlockenden Staͤbchen, jeden einzelnen Ton verſuchend, der tief im Bauch der Woͤlbung wiederhallte.
Nun konnte er auch der Luſt zu ſingen nicht widerſtehen, und beſang, die Laute ſchlagend, was nur ſein Auge erblickte; die Dreifuͤße und Gefaͤße in ſeiner Mutter Hauſe; aber er ſang auch ſchon mit hoͤherm Schwunge, Jupiters Lie- besbuͤndniß mit der holden Maja, als ſeiner eige- nen Gottheit Urſprung.
Als nun am Abend die Sonne ſich in den Ocean tauchte, war er ſchon auf den Piraͤiſchen Gebirgen, wo die Heerden der unſterblichen Goͤt- ter weiden. Funfzig entwandte er von Apollos Rindern, und trieb ſie mit manchem liſtigen Kunſtgriff uͤber Berg und Thal, daß niemand die Spur des Raubes entdecken konnte, wenn nicht ein Greis, der auf dem Felde grub, den Knaben mit den Rindern vor ſich her bemerkt, und ihn dem Apollo verrathen haͤtte.
Als er nun am Alpheusſtrome zwei von den Rindern geſchlachtet, und ſie ſich ſelber geop- fert hatte, ſo loͤſchte er wieder das Feuer aus, verſcharrte die Aſche in den Sand, und warf die Schuh von gruͤnern Reiſern, womit er die Fuß- ſtapfen unkenntlich zu machen geſucht, in den
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0203"n="159"/>
die Umwoͤlbung leer war, ſpannte er ſieben aus<lb/>
Sehnen geflochtene miteinander toͤnende Saiten<lb/>
daruͤber, und ſchlug ſie mit dem klangentlockenden<lb/>
Staͤbchen, jeden einzelnen Ton verſuchend, der tief<lb/>
im Bauch der Woͤlbung wiederhallte.</p><lb/><p>Nun konnte er auch der Luſt zu ſingen nicht<lb/>
widerſtehen, und beſang, die Laute ſchlagend,<lb/>
was nur ſein Auge erblickte; die Dreifuͤße und<lb/>
Gefaͤße in ſeiner Mutter Hauſe; aber er ſang<lb/>
auch ſchon mit hoͤherm Schwunge, Jupiters Lie-<lb/>
besbuͤndniß mit der holden Maja, als ſeiner eige-<lb/>
nen Gottheit Urſprung.</p><lb/><p>Als nun am Abend die Sonne ſich in den<lb/>
Ocean tauchte, war er ſchon auf den Piraͤiſchen<lb/>
Gebirgen, wo die Heerden der unſterblichen Goͤt-<lb/>
ter weiden. Funfzig entwandte er von Apollos<lb/>
Rindern, und trieb ſie mit manchem liſtigen<lb/>
Kunſtgriff uͤber Berg und Thal, daß niemand die<lb/>
Spur des Raubes entdecken konnte, wenn nicht<lb/>
ein Greis, der auf dem Felde grub, den Knaben<lb/>
mit den Rindern vor ſich her bemerkt, und ihn<lb/>
dem Apollo verrathen haͤtte.</p><lb/><p>Als er nun am Alpheusſtrome zwei von den<lb/>
Rindern geſchlachtet, <hirendition="#fr">und ſie ſich ſelber geop-<lb/>
fert hatte</hi>, ſo loͤſchte er wieder das Feuer aus,<lb/>
verſcharrte die Aſche in den Sand, und warf die<lb/>
Schuh von gruͤnern Reiſern, womit er die Fuß-<lb/>ſtapfen unkenntlich zu machen geſucht, in den<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[159/0203]
die Umwoͤlbung leer war, ſpannte er ſieben aus
Sehnen geflochtene miteinander toͤnende Saiten
daruͤber, und ſchlug ſie mit dem klangentlockenden
Staͤbchen, jeden einzelnen Ton verſuchend, der tief
im Bauch der Woͤlbung wiederhallte.
Nun konnte er auch der Luſt zu ſingen nicht
widerſtehen, und beſang, die Laute ſchlagend,
was nur ſein Auge erblickte; die Dreifuͤße und
Gefaͤße in ſeiner Mutter Hauſe; aber er ſang
auch ſchon mit hoͤherm Schwunge, Jupiters Lie-
besbuͤndniß mit der holden Maja, als ſeiner eige-
nen Gottheit Urſprung.
Als nun am Abend die Sonne ſich in den
Ocean tauchte, war er ſchon auf den Piraͤiſchen
Gebirgen, wo die Heerden der unſterblichen Goͤt-
ter weiden. Funfzig entwandte er von Apollos
Rindern, und trieb ſie mit manchem liſtigen
Kunſtgriff uͤber Berg und Thal, daß niemand die
Spur des Raubes entdecken konnte, wenn nicht
ein Greis, der auf dem Felde grub, den Knaben
mit den Rindern vor ſich her bemerkt, und ihn
dem Apollo verrathen haͤtte.
Als er nun am Alpheusſtrome zwei von den
Rindern geſchlachtet, und ſie ſich ſelber geop-
fert hatte, ſo loͤſchte er wieder das Feuer aus,
verſcharrte die Aſche in den Sand, und warf die
Schuh von gruͤnern Reiſern, womit er die Fuß-
ſtapfen unkenntlich zu machen geſucht, in den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/203>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.