Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

gegengesetzten zu bezeichnen, als diesen Schlangen-
umwundenen Stab, der, in der Hand des Göt-
terboten, der Herold seiner Macht ist.

Nichts ist reizender als die dichterischen Schil-
derungen der Alten von der schnell sich entwickeln-
den Götterkraft, die gleichsam lange vorher schon
war, und nun in verjüngter Gestalt aus dem
Schooß der Mutter neu gebohren, die Fülle ihres
Wesens, welche sie in sich spürt, nicht lange durch
Windeln und durch die Wiege beschränken läßt.

Während daß Juno schlief, hatte Jupiter in
verstohlner Umarmung mit der holden Maja den
Merkur in einer schattigten Höhle erzeugt. --
Und als die Zeit der Entbindung da war, so wurde
am frühen Morgen der Götterknabe gebohren,
am Mittag schlug er schon die von ihm selbst er-
fundene Laute, und am Abend entwandte er die
Rinder des Apollo.

Die Laute erfand er, da er am ersten Mit-
tage sich aus der Wiege stahl, und indem er über
die Schwelle trat, eine Schildkröte ihm entgegen
kam, deren umwölbende Schaale ihm sogleich
ein schickliches Werkzeug schien, um von dem
Klange darauf gespannter Saiten wiederzutö-
nen. --

Wenn du todt bist, sprach er zu der Schild-
kröte, dann wird erst dein Gesang anheben. --
Und als er ihr nun das Leben geraubt hatte, und

gegengeſetzten zu bezeichnen, als dieſen Schlangen-
umwundenen Stab, der, in der Hand des Goͤt-
terboten, der Herold ſeiner Macht iſt.

Nichts iſt reizender als die dichteriſchen Schil-
derungen der Alten von der ſchnell ſich entwickeln-
den Goͤtterkraft, die gleichſam lange vorher ſchon
war, und nun in verjuͤngter Geſtalt aus dem
Schooß der Mutter neu gebohren, die Fuͤlle ihres
Weſens, welche ſie in ſich ſpuͤrt, nicht lange durch
Windeln und durch die Wiege beſchraͤnken laͤßt.

Waͤhrend daß Juno ſchlief, hatte Jupiter in
verſtohlner Umarmung mit der holden Maja den
Merkur in einer ſchattigten Hoͤhle erzeugt. —
Und als die Zeit der Entbindung da war, ſo wurde
am fruͤhen Morgen der Goͤtterknabe gebohren,
am Mittag ſchlug er ſchon die von ihm ſelbſt er-
fundene Laute, und am Abend entwandte er die
Rinder des Apollo.

Die Laute erfand er, da er am erſten Mit-
tage ſich aus der Wiege ſtahl, und indem er uͤber
die Schwelle trat, eine Schildkroͤte ihm entgegen
kam, deren umwoͤlbende Schaale ihm ſogleich
ein ſchickliches Werkzeug ſchien, um von dem
Klange darauf geſpannter Saiten wiederzutoͤ-
nen. —

Wenn du todt biſt, ſprach er zu der Schild-
kroͤte, dann wird erſt dein Geſang anheben. —
Und als er ihr nun das Leben geraubt hatte, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0202" n="158"/>
gegenge&#x017F;etzten zu bezeichnen, als die&#x017F;en Schlangen-<lb/>
umwundenen Stab, der, in der Hand des Go&#x0364;t-<lb/>
terboten, der Herold &#x017F;einer Macht i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Nichts i&#x017F;t reizender als die dichteri&#x017F;chen Schil-<lb/>
derungen der Alten von der &#x017F;chnell &#x017F;ich entwickeln-<lb/>
den Go&#x0364;tterkraft, die gleich&#x017F;am lange vorher &#x017F;chon<lb/>
war, und nun in verju&#x0364;ngter Ge&#x017F;talt aus dem<lb/>
Schooß der Mutter neu gebohren, die Fu&#x0364;lle ihres<lb/>
We&#x017F;ens, welche &#x017F;ie in &#x017F;ich &#x017F;pu&#x0364;rt, nicht lange durch<lb/>
Windeln und durch die Wiege be&#x017F;chra&#x0364;nken la&#x0364;ßt.</p><lb/>
          <p>Wa&#x0364;hrend daß Juno &#x017F;chlief, hatte Jupiter in<lb/>
ver&#x017F;tohlner Umarmung mit der holden Maja den<lb/>
Merkur in einer &#x017F;chattigten Ho&#x0364;hle erzeugt. &#x2014;<lb/>
Und als die Zeit der Entbindung da war, &#x017F;o wurde<lb/>
am fru&#x0364;hen Morgen der Go&#x0364;tterknabe gebohren,<lb/>
am Mittag &#x017F;chlug er &#x017F;chon die von ihm &#x017F;elb&#x017F;t er-<lb/>
fundene Laute, und am Abend entwandte er die<lb/>
Rinder des Apollo.</p><lb/>
          <p>Die Laute erfand er, da er am er&#x017F;ten Mit-<lb/>
tage &#x017F;ich aus der Wiege &#x017F;tahl, und indem er u&#x0364;ber<lb/>
die Schwelle trat, eine Schildkro&#x0364;te ihm entgegen<lb/>
kam, deren umwo&#x0364;lbende Schaale ihm &#x017F;ogleich<lb/>
ein &#x017F;chickliches Werkzeug &#x017F;chien, um von dem<lb/>
Klange darauf ge&#x017F;pannter Saiten wiederzuto&#x0364;-<lb/>
nen. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Wenn du todt bi&#x017F;t, &#x017F;prach er zu der Schild-<lb/>
kro&#x0364;te, dann wird er&#x017F;t dein Ge&#x017F;ang anheben. &#x2014;<lb/>
Und als er ihr nun das Leben geraubt hatte, und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0202] gegengeſetzten zu bezeichnen, als dieſen Schlangen- umwundenen Stab, der, in der Hand des Goͤt- terboten, der Herold ſeiner Macht iſt. Nichts iſt reizender als die dichteriſchen Schil- derungen der Alten von der ſchnell ſich entwickeln- den Goͤtterkraft, die gleichſam lange vorher ſchon war, und nun in verjuͤngter Geſtalt aus dem Schooß der Mutter neu gebohren, die Fuͤlle ihres Weſens, welche ſie in ſich ſpuͤrt, nicht lange durch Windeln und durch die Wiege beſchraͤnken laͤßt. Waͤhrend daß Juno ſchlief, hatte Jupiter in verſtohlner Umarmung mit der holden Maja den Merkur in einer ſchattigten Hoͤhle erzeugt. — Und als die Zeit der Entbindung da war, ſo wurde am fruͤhen Morgen der Goͤtterknabe gebohren, am Mittag ſchlug er ſchon die von ihm ſelbſt er- fundene Laute, und am Abend entwandte er die Rinder des Apollo. Die Laute erfand er, da er am erſten Mit- tage ſich aus der Wiege ſtahl, und indem er uͤber die Schwelle trat, eine Schildkroͤte ihm entgegen kam, deren umwoͤlbende Schaale ihm ſogleich ein ſchickliches Werkzeug ſchien, um von dem Klange darauf geſpannter Saiten wiederzutoͤ- nen. — Wenn du todt biſt, ſprach er zu der Schild- kroͤte, dann wird erſt dein Geſang anheben. — Und als er ihr nun das Leben geraubt hatte, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/202
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/202>, abgerufen am 27.04.2024.