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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Das Urbild der Diana ist der leuchtende
Mond,
der kalt und keusch in nächtlicher Stille
über die Wälder seinen Glanz aussireuet. -- Diese
Keuschheit der Diana selber aber ist ein furchtbarer
Zug in ihrem Wesen. -- Den Jäger Aktäon, der sie
im Bade erblickte, ließ sie, in einen Hirsch verwan-
delt, von seinen eigenen Hunden zerrissen, ihrer
jungfräulichen Schamhaftigkeit ein schreckliches
Opfer werden.

Und als eine Priesterin der Diana ihren Tem-
pel durch die Annahme der Besuche ihres gelieb-
ten Jünglings in demselben entweihte, bestrafte
die Göttin das ganze Land mit Pest und Seu-
chen, bis man das schuldige Paar ihr selber zum
Opfer brachte. -- Ihr widmeten sich die Jung-
frauen, die das Gelübde der Keuschheit thaten, des-
sen Verletzung sie mit grausamen Strafen rächte.

Wenn Jungfrauen, die dieß Gelübde thaten,
sich dennoch, ihren Entschluß bereuend, vermählen
wollten, so zitterten sie vor Dianens Rache, und such-
ten die zürnende Göttin mit Opfern zu versöhnen.

Diana und Venus waren die allerentgegen-
gesetztesten unter den himmlischen Göttergestal-
ten. -- Demohngeachtet wurden beide verehrt. --
Die ausschweifende Lust der einen, und die Keusch-
heit der andern war über Lob und Tadel der Sterb-
lichen weit erhaben, die eine wie die andre, gleich
wohlthätig und gleich furchtbar.

Das Urbild der Diana iſt der leuchtende
Mond,
der kalt und keuſch in naͤchtlicher Stille
uͤber die Waͤlder ſeinen Glanz ausſireuet. — Dieſe
Keuſchheit der Diana ſelber aber iſt ein furchtbarer
Zug in ihrem Weſen. — Den Jaͤger Aktaͤon, der ſie
im Bade erblickte, ließ ſie, in einen Hirſch verwan-
delt, von ſeinen eigenen Hunden zerriſſen, ihrer
jungfraͤulichen Schamhaftigkeit ein ſchreckliches
Opfer werden.

Und als eine Prieſterin der Diana ihren Tem-
pel durch die Annahme der Beſuche ihres gelieb-
ten Juͤnglings in demſelben entweihte, beſtrafte
die Goͤttin das ganze Land mit Peſt und Seu-
chen, bis man das ſchuldige Paar ihr ſelber zum
Opfer brachte. — Ihr widmeten ſich die Jung-
frauen, die das Geluͤbde der Keuſchheit thaten, deſ-
ſen Verletzung ſie mit grauſamen Strafen raͤchte.

Wenn Jungfrauen, die dieß Geluͤbde thaten,
ſich dennoch, ihren Entſchluß bereuend, vermaͤhlen
wollten, ſo zitterten ſie vor Dianens Rache, und ſuch-
ten die zuͤrnende Goͤttin mit Opfern zu verſoͤhnen.

Diana und Venus waren die allerentgegen-
geſetzteſten unter den himmliſchen Goͤttergeſtal-
ten. — Demohngeachtet wurden beide verehrt. —
Die ausſchweifende Luſt der einen, und die Keuſch-
heit der andern war uͤber Lob und Tadel der Sterb-
lichen weit erhaben, die eine wie die andre, gleich
wohlthaͤtig und gleich furchtbar.

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[137/0175] Das Urbild der Diana iſt der leuchtende Mond, der kalt und keuſch in naͤchtlicher Stille uͤber die Waͤlder ſeinen Glanz ausſireuet. — Dieſe Keuſchheit der Diana ſelber aber iſt ein furchtbarer Zug in ihrem Weſen. — Den Jaͤger Aktaͤon, der ſie im Bade erblickte, ließ ſie, in einen Hirſch verwan- delt, von ſeinen eigenen Hunden zerriſſen, ihrer jungfraͤulichen Schamhaftigkeit ein ſchreckliches Opfer werden. Und als eine Prieſterin der Diana ihren Tem- pel durch die Annahme der Beſuche ihres gelieb- ten Juͤnglings in demſelben entweihte, beſtrafte die Goͤttin das ganze Land mit Peſt und Seu- chen, bis man das ſchuldige Paar ihr ſelber zum Opfer brachte. — Ihr widmeten ſich die Jung- frauen, die das Geluͤbde der Keuſchheit thaten, deſ- ſen Verletzung ſie mit grauſamen Strafen raͤchte. Wenn Jungfrauen, die dieß Geluͤbde thaten, ſich dennoch, ihren Entſchluß bereuend, vermaͤhlen wollten, ſo zitterten ſie vor Dianens Rache, und ſuch- ten die zuͤrnende Goͤttin mit Opfern zu verſoͤhnen. Diana und Venus waren die allerentgegen- geſetzteſten unter den himmliſchen Goͤttergeſtal- ten. — Demohngeachtet wurden beide verehrt. — Die ausſchweifende Luſt der einen, und die Keuſch- heit der andern war uͤber Lob und Tadel der Sterb- lichen weit erhaben, die eine wie die andre, gleich wohlthaͤtig und gleich furchtbar.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/175>, abgerufen am 03.05.2024.