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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.

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tungsart: so bilderreich, ausschweifend, heiß auch gleichsam seine Handschrift. --

Je fester, trockner der Nerve, je unbeweglicher und mit dem Knochen gleichsam eins, je kälter die Empfindung: -- desto stehender perpendikulärer der Buchstabe, desto regulärer ihre Ordnung, gerade horizontal ihre Linien und desto gleichbleibender die ganze Handschrift. Keine hinschweifenden untereinander liegenden Buchstaben, keine springenden Züge: sondern alles abgemessen, abgezirkelt und in Proportion.

Festigkeit, Ruhe der Empfindung -- Jndolenz zeigt sich in dem Buchstaben eben so, wie in der Bewegung, Fortschreiten des Fußes durch ruhiges, kaltes Hinlegen, gerades Auftreten, Fortschreiten und taktmäßiges sich nicht übereilendes Aufheben desselben zum neuen Niederlaß. Siehst du eine Handschrift, die Muster akkurater Gleichförmigkeit, sich immer gleichbleibender Stoicismus ist: so kannst du dich nicht täuschen -- der Schreiber gewiß kein Mensch, der für Kunst, Schönheit, platonische Liebe Gefühl hat, sich zum Dichtungsgeist hinschwingen kann: sondern Aktenwühler, mechanischer Händler, der kalt aussieht, kalt auch genießt, und kalt dein Freund ist. --

Gott bewahre mich für eine schöne Handschrift, wie für ein kaltes unempfindliches Auge für Schön-


tungsart: so bilderreich, ausschweifend, heiß auch gleichsam seine Handschrift. —

Je fester, trockner der Nerve, je unbeweglicher und mit dem Knochen gleichsam eins, je kaͤlter die Empfindung: — desto stehender perpendikulaͤrer der Buchstabe, desto regulaͤrer ihre Ordnung, gerade horizontal ihre Linien und desto gleichbleibender die ganze Handschrift. Keine hinschweifenden untereinander liegenden Buchstaben, keine springenden Zuͤge: sondern alles abgemessen, abgezirkelt und in Proportion.

Festigkeit, Ruhe der Empfindung — Jndolenz zeigt sich in dem Buchstaben eben so, wie in der Bewegung, Fortschreiten des Fußes durch ruhiges, kaltes Hinlegen, gerades Auftreten, Fortschreiten und taktmaͤßiges sich nicht uͤbereilendes Aufheben desselben zum neuen Niederlaß. Siehst du eine Handschrift, die Muster akkurater Gleichfoͤrmigkeit, sich immer gleichbleibender Stoicismus ist: so kannst du dich nicht taͤuschen — der Schreiber gewiß kein Mensch, der fuͤr Kunst, Schoͤnheit, platonische Liebe Gefuͤhl hat, sich zum Dichtungsgeist hinschwingen kann: sondern Aktenwuͤhler, mechanischer Haͤndler, der kalt aussieht, kalt auch genießt, und kalt dein Freund ist. —

Gott bewahre mich fuͤr eine schoͤne Handschrift, wie fuͤr ein kaltes unempfindliches Auge fuͤr Schoͤn-

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[58/0058] tungsart: so bilderreich, ausschweifend, heiß auch gleichsam seine Handschrift. — Je fester, trockner der Nerve, je unbeweglicher und mit dem Knochen gleichsam eins, je kaͤlter die Empfindung: — desto stehender perpendikulaͤrer der Buchstabe, desto regulaͤrer ihre Ordnung, gerade horizontal ihre Linien und desto gleichbleibender die ganze Handschrift. Keine hinschweifenden untereinander liegenden Buchstaben, keine springenden Zuͤge: sondern alles abgemessen, abgezirkelt und in Proportion. Festigkeit, Ruhe der Empfindung — Jndolenz zeigt sich in dem Buchstaben eben so, wie in der Bewegung, Fortschreiten des Fußes durch ruhiges, kaltes Hinlegen, gerades Auftreten, Fortschreiten und taktmaͤßiges sich nicht uͤbereilendes Aufheben desselben zum neuen Niederlaß. Siehst du eine Handschrift, die Muster akkurater Gleichfoͤrmigkeit, sich immer gleichbleibender Stoicismus ist: so kannst du dich nicht taͤuschen — der Schreiber gewiß kein Mensch, der fuͤr Kunst, Schoͤnheit, platonische Liebe Gefuͤhl hat, sich zum Dichtungsgeist hinschwingen kann: sondern Aktenwuͤhler, mechanischer Haͤndler, der kalt aussieht, kalt auch genießt, und kalt dein Freund ist. — Gott bewahre mich fuͤr eine schoͤne Handschrift, wie fuͤr ein kaltes unempfindliches Auge fuͤr Schoͤn-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/58>, abgerufen am 17.05.2024.