Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


das Schreiben eine nach Regeln bestimmte Bewegung der Hand ist, mit der und durch deren Führen der Feder der Buchstabe hingemahlt wird. Die Feder verhält sich also ganz leidentlich dabei, und muß nur der Bestimmung der Hand folgen. Uebrigens aber, so bestimmt auch die Regeln der Bildung des Buchstabens sind, so viel Arten sind auch wieder möglich, diese Regeln zu vollstrecken. Giebt es nicht tausend Linien in die Höhe, je nachdem sie von der Perpendikularität abweichen, rückwärts oder vorwärts sich neigen, -- giebt es nicht tausend mögliche Verbindungen der Buchstaben untereinander, rund, geschärft, spitzig, abgebrochen, oder wohl gar keine, jeder einzeln isolirt von dem andern? Giebt es nicht Züge und Verzierungen der Buchstaben, die mehr willkührlich, als bestimmt sind? -- Das Mechanische, das das Schreiben zu haben scheint, fällt also ganz weg, und wird mehr ein nach dem Nervensystem der Hand sich richtender Ausdruck im Buchstaben. So wenig würklich der Tackt, das Pas eines jeden Tanzes das Charakteristische des Ausdrucks einer jeden Tänzerin versteckt und zu einer mechanischen Bewegung des Fußes macht: so wenig macht auch die Vorschrift des Buchstabens die tausend Möglichkeiten, ihn nach dem Charakter des Nervens zu bilden, unmöglich. --

"Jeder bildet sich nach seinem Schreibemeister: -- " Lasset hundert Kinder bei Einem


das Schreiben eine nach Regeln bestimmte Bewegung der Hand ist, mit der und durch deren Fuͤhren der Feder der Buchstabe hingemahlt wird. Die Feder verhaͤlt sich also ganz leidentlich dabei, und muß nur der Bestimmung der Hand folgen. Uebrigens aber, so bestimmt auch die Regeln der Bildung des Buchstabens sind, so viel Arten sind auch wieder moͤglich, diese Regeln zu vollstrecken. Giebt es nicht tausend Linien in die Hoͤhe, je nachdem sie von der Perpendikularitaͤt abweichen, ruͤckwaͤrts oder vorwaͤrts sich neigen, — giebt es nicht tausend moͤgliche Verbindungen der Buchstaben untereinander, rund, geschaͤrft, spitzig, abgebrochen, oder wohl gar keine, jeder einzeln isolirt von dem andern? Giebt es nicht Zuͤge und Verzierungen der Buchstaben, die mehr willkuͤhrlich, als bestimmt sind? — Das Mechanische, das das Schreiben zu haben scheint, faͤllt also ganz weg, und wird mehr ein nach dem Nervensystem der Hand sich richtender Ausdruck im Buchstaben. So wenig wuͤrklich der Tackt, das Pas eines jeden Tanzes das Charakteristische des Ausdrucks einer jeden Taͤnzerin versteckt und zu einer mechanischen Bewegung des Fußes macht: so wenig macht auch die Vorschrift des Buchstabens die tausend Moͤglichkeiten, ihn nach dem Charakter des Nervens zu bilden, unmoͤglich. —

»Jeder bildet sich nach seinem Schreibemeister: — « Lasset hundert Kinder bei Einem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0050" n="50"/><lb/>
das Schreiben eine nach Regeln bestimmte Bewegung                         der Hand ist, mit der und durch deren Fu&#x0364;hren der Feder der Buchstabe                         hingemahlt wird. Die Feder verha&#x0364;lt sich also ganz leidentlich dabei, und muß                         nur der Bestimmung der Hand folgen. Uebrigens aber, so bestimmt auch die                         Regeln der Bildung des Buchstabens sind, so viel Arten sind auch wieder                         mo&#x0364;glich, diese Regeln zu vollstrecken. Giebt es nicht tausend Linien in die                         Ho&#x0364;he, je nachdem sie von der Perpendikularita&#x0364;t abweichen, ru&#x0364;ckwa&#x0364;rts oder                         vorwa&#x0364;rts sich neigen, &#x2014; giebt es nicht tausend mo&#x0364;gliche Verbindungen der                         Buchstaben untereinander, rund, gescha&#x0364;rft, spitzig, abgebrochen, oder wohl                         gar keine, jeder einzeln isolirt von dem andern? Giebt es nicht Zu&#x0364;ge und                         Verzierungen der Buchstaben, die mehr willku&#x0364;hrlich, als bestimmt sind? &#x2014; Das                         Mechanische, das das Schreiben zu haben scheint, fa&#x0364;llt also ganz weg, und                         wird mehr ein nach dem Nervensystem der Hand sich richtender Ausdruck im                         Buchstaben. So wenig wu&#x0364;rklich der Tackt, das Pas eines jeden Tanzes das                         Charakteristische des Ausdrucks einer jeden Ta&#x0364;nzerin versteckt und zu einer                         mechanischen Bewegung des Fußes macht: so wenig macht auch die Vorschrift                         des Buchstabens die tausend Mo&#x0364;glichkeiten, ihn nach dem Charakter des                         Nervens zu bilden, unmo&#x0364;glich. &#x2014; </p>
            <p><hi rendition="#b">»Jeder bildet sich nach seinem Schreibemeister: &#x2014; «</hi> Lasset hundert Kinder bei Einem<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0050] das Schreiben eine nach Regeln bestimmte Bewegung der Hand ist, mit der und durch deren Fuͤhren der Feder der Buchstabe hingemahlt wird. Die Feder verhaͤlt sich also ganz leidentlich dabei, und muß nur der Bestimmung der Hand folgen. Uebrigens aber, so bestimmt auch die Regeln der Bildung des Buchstabens sind, so viel Arten sind auch wieder moͤglich, diese Regeln zu vollstrecken. Giebt es nicht tausend Linien in die Hoͤhe, je nachdem sie von der Perpendikularitaͤt abweichen, ruͤckwaͤrts oder vorwaͤrts sich neigen, — giebt es nicht tausend moͤgliche Verbindungen der Buchstaben untereinander, rund, geschaͤrft, spitzig, abgebrochen, oder wohl gar keine, jeder einzeln isolirt von dem andern? Giebt es nicht Zuͤge und Verzierungen der Buchstaben, die mehr willkuͤhrlich, als bestimmt sind? — Das Mechanische, das das Schreiben zu haben scheint, faͤllt also ganz weg, und wird mehr ein nach dem Nervensystem der Hand sich richtender Ausdruck im Buchstaben. So wenig wuͤrklich der Tackt, das Pas eines jeden Tanzes das Charakteristische des Ausdrucks einer jeden Taͤnzerin versteckt und zu einer mechanischen Bewegung des Fußes macht: so wenig macht auch die Vorschrift des Buchstabens die tausend Moͤglichkeiten, ihn nach dem Charakter des Nervens zu bilden, unmoͤglich. — »Jeder bildet sich nach seinem Schreibemeister: — « Lasset hundert Kinder bei Einem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/50
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/50>, abgerufen am 24.11.2024.