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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.

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terdrückter Ehrgeitz, Stolz, Liebe wäre alleinige Ursach seiner Gemüthskrankheit gewesen. Doch das hinderte mich nicht, da ich einmal schon solche gute Fortschritte gemacht, fortzuwirken. Vielleicht eine verborgene Neigung zur Thätigkeit, oder vielleicht auch Aufmunterung der Seinigen, die ihn besuchten, erzeugten in ihm das Verlangen zu schneidern. Sein Vetter schickte ihm daher Binden zu verfertigen; er nähete eine davon, allein die übrigen blieben liegen. Was die Ursach davon war, habe ich nicht entdecken, nicht genau von ihm erforschen können. Er wurde indeß fleißig zum Herumgehen angehalten, theils sich zu zerstreuen, theils seine Kräfte zu mehrerer Stärke zu gewöhnen.

Jede kleine Abwechselung zu bestimmen, die ich dieserhalb einschlug, ihn nun völlig zum brauchbaren Menschen zu machen, ist mir nicht möglich zu gedenken, indeß wurde er doch durch sie von Zeit zu Zeit so stark, daß er, vermöge seiner immer stärker wirkenden Denkkraft, nicht nur bestimmter, deutlicher und richtiger alles angab, sondern auch schon ein Sehnen nach Hause zu seinem Vetter äußerte, in der gewissen Hofnung und Erwartung, daß es da besser für ihn seyn würde, als hier, wo er beständig von Kranken umgeben war und seyn mußte. Der Arzt und ich sprachen darüber gemeinschaftlich, und da der Arzt keine Gefahr in Rücksicht seiner Melancholie zu befürchten glaubte, so wurde ihm die Erlaubniß gegeben, einigemale in der Woche mit seinem Aufwärter auf Urlaub zu seinem Vetter zu gehen; wo er, wenn er sich auch noch nicht als ein völlig Gesunder in seinem Betragen gezeigt, doch wegen seiner nun zu hoffenden völligen Wiederherstellung viel Freude veranlaßt hatte. Zu diesem


terdruͤckter Ehrgeitz, Stolz, Liebe waͤre alleinige Ursach seiner Gemuͤthskrankheit gewesen. Doch das hinderte mich nicht, da ich einmal schon solche gute Fortschritte gemacht, fortzuwirken. Vielleicht eine verborgene Neigung zur Thaͤtigkeit, oder vielleicht auch Aufmunterung der Seinigen, die ihn besuchten, erzeugten in ihm das Verlangen zu schneidern. Sein Vetter schickte ihm daher Binden zu verfertigen; er naͤhete eine davon, allein die uͤbrigen blieben liegen. Was die Ursach davon war, habe ich nicht entdecken, nicht genau von ihm erforschen koͤnnen. Er wurde indeß fleißig zum Herumgehen angehalten, theils sich zu zerstreuen, theils seine Kraͤfte zu mehrerer Staͤrke zu gewoͤhnen.

Jede kleine Abwechselung zu bestimmen, die ich dieserhalb einschlug, ihn nun voͤllig zum brauchbaren Menschen zu machen, ist mir nicht moͤglich zu gedenken, indeß wurde er doch durch sie von Zeit zu Zeit so stark, daß er, vermoͤge seiner immer staͤrker wirkenden Denkkraft, nicht nur bestimmter, deutlicher und richtiger alles angab, sondern auch schon ein Sehnen nach Hause zu seinem Vetter aͤußerte, in der gewissen Hofnung und Erwartung, daß es da besser fuͤr ihn seyn wuͤrde, als hier, wo er bestaͤndig von Kranken umgeben war und seyn mußte. Der Arzt und ich sprachen daruͤber gemeinschaftlich, und da der Arzt keine Gefahr in Ruͤcksicht seiner Melancholie zu befuͤrchten glaubte, so wurde ihm die Erlaubniß gegeben, einigemale in der Woche mit seinem Aufwaͤrter auf Urlaub zu seinem Vetter zu gehen; wo er, wenn er sich auch noch nicht als ein voͤllig Gesunder in seinem Betragen gezeigt, doch wegen seiner nun zu hoffenden voͤlligen Wiederherstellung viel Freude veranlaßt hatte. Zu diesem

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[123/0123] terdruͤckter Ehrgeitz, Stolz, Liebe waͤre alleinige Ursach seiner Gemuͤthskrankheit gewesen. Doch das hinderte mich nicht, da ich einmal schon solche gute Fortschritte gemacht, fortzuwirken. Vielleicht eine verborgene Neigung zur Thaͤtigkeit, oder vielleicht auch Aufmunterung der Seinigen, die ihn besuchten, erzeugten in ihm das Verlangen zu schneidern. Sein Vetter schickte ihm daher Binden zu verfertigen; er naͤhete eine davon, allein die uͤbrigen blieben liegen. Was die Ursach davon war, habe ich nicht entdecken, nicht genau von ihm erforschen koͤnnen. Er wurde indeß fleißig zum Herumgehen angehalten, theils sich zu zerstreuen, theils seine Kraͤfte zu mehrerer Staͤrke zu gewoͤhnen. Jede kleine Abwechselung zu bestimmen, die ich dieserhalb einschlug, ihn nun voͤllig zum brauchbaren Menschen zu machen, ist mir nicht moͤglich zu gedenken, indeß wurde er doch durch sie von Zeit zu Zeit so stark, daß er, vermoͤge seiner immer staͤrker wirkenden Denkkraft, nicht nur bestimmter, deutlicher und richtiger alles angab, sondern auch schon ein Sehnen nach Hause zu seinem Vetter aͤußerte, in der gewissen Hofnung und Erwartung, daß es da besser fuͤr ihn seyn wuͤrde, als hier, wo er bestaͤndig von Kranken umgeben war und seyn mußte. Der Arzt und ich sprachen daruͤber gemeinschaftlich, und da der Arzt keine Gefahr in Ruͤcksicht seiner Melancholie zu befuͤrchten glaubte, so wurde ihm die Erlaubniß gegeben, einigemale in der Woche mit seinem Aufwaͤrter auf Urlaub zu seinem Vetter zu gehen; wo er, wenn er sich auch noch nicht als ein voͤllig Gesunder in seinem Betragen gezeigt, doch wegen seiner nun zu hoffenden voͤlligen Wiederherstellung viel Freude veranlaßt hatte. Zu diesem

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Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/123>, abgerufen am 22.12.2024.