Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.
Ueberhaupt muß man nicht vergessen (wie es doch zu geschehen pflegt), daß die transzendentalen Prinzipien bloß die conditio sine qua non zur angewandten Philosophie sind; enthalten aber nicht alles, wornach diese beurtheilt werden muß. Daß Sie übrigens, theuerster Freund! unsre Nation zur Behauptung ihrer Originalität und Aeußerung ihrer Selbstthätigkeit auffordern, ist ein Beweiß ihrer edlen Gesinnungen. Wenn Sie aber glauben, daß dieses durch das Wühlen in ihren einheimischen orientalischen Geistesschätzen bewerkstelligt werden muß, kann ich hierin mit Jhnen nicht übereinstimmen; wo dieses nicht bloß als ein an sich närrisches Mittel zur Erlangung eines vernünftigen Zweckes mit vieler Behutsamkeit gebraucht werden soll. Von der so hochgepriesenen orientalischen Weißheit habe ich keinen Begriff. Aus der Kabbala, wie wir sie jetzt haben, kann man so wenig etwas vernünftig Theoretisches, als etwas nützlich Praktisches lernen. Sie besteht in einem bloßen Spiele mit Zahlen und Buchstaben, worin die Kabbalisten große Geheimnisse suchen,
Ueberhaupt muß man nicht vergessen (wie es doch zu geschehen pflegt), daß die transzendentalen Prinzipien bloß die conditio sine qua non zur angewandten Philosophie sind; enthalten aber nicht alles, wornach diese beurtheilt werden muß. Daß Sie uͤbrigens, theuerster Freund! unsre Nation zur Behauptung ihrer Originalitaͤt und Aeußerung ihrer Selbstthaͤtigkeit auffordern, ist ein Beweiß ihrer edlen Gesinnungen. Wenn Sie aber glauben, daß dieses durch das Wuͤhlen in ihren einheimischen orientalischen Geistesschaͤtzen bewerkstelligt werden muß, kann ich hierin mit Jhnen nicht uͤbereinstimmen; wo dieses nicht bloß als ein an sich naͤrrisches Mittel zur Erlangung eines vernuͤnftigen Zweckes mit vieler Behutsamkeit gebraucht werden soll. Von der so hochgepriesenen orientalischen Weißheit habe ich keinen Begriff. Aus der Kabbala, wie wir sie jetzt haben, kann man so wenig etwas vernuͤnftig Theoretisches, als etwas nuͤtzlich Praktisches lernen. Sie besteht in einem bloßen Spiele mit Zahlen und Buchstaben, worin die Kabbalisten große Geheimnisse suchen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div type="letter" n="3"> <p><pb facs="#f0104" n="104"/><lb/><hi rendition="#b">bringt</hi> sie aber nicht <hi rendition="#b">hervor,</hi> so kann man auch sagen: die Natur der wirklichen Koͤrper macht die Mathematik <hi rendition="#b">anwendbar;</hi> ist aber keine Bedingung ihrer <hi rendition="#b">Moͤglichkeit an sich;</hi> und so ist es auch in Ansehung der Moral. </p> <p>Ueberhaupt muß man nicht vergessen (wie es doch zu geschehen pflegt), daß die transzendentalen Prinzipien bloß die <hi rendition="#i">conditio sine qua non</hi> zur <hi rendition="#b">angewandten</hi> Philosophie sind; enthalten aber nicht alles, wornach diese beurtheilt werden muß. </p> <p>Daß Sie uͤbrigens, theuerster Freund! unsre Nation zur Behauptung ihrer <hi rendition="#b">Originalitaͤt</hi> und Aeußerung ihrer <hi rendition="#b">Selbstthaͤtigkeit</hi> auffordern, ist ein Beweiß ihrer edlen Gesinnungen. Wenn Sie aber glauben, daß dieses durch das Wuͤhlen in ihren einheimischen orientalischen Geistesschaͤtzen bewerkstelligt werden muß, kann ich hierin mit Jhnen nicht uͤbereinstimmen; wo dieses nicht bloß als ein an sich <hi rendition="#b">naͤrrisches Mittel zur Erlangung eines vernuͤnftigen Zweckes</hi> mit vieler Behutsamkeit gebraucht werden soll. Von der so hochgepriesenen orientalischen Weißheit habe ich keinen Begriff. Aus der Kabbala, wie wir sie jetzt haben, kann man so wenig etwas vernuͤnftig Theoretisches, als etwas nuͤtzlich Praktisches lernen. Sie besteht in einem bloßen Spiele mit Zahlen und Buchstaben, worin die Kabbalisten große Geheimnisse suchen,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [104/0104]
bringt sie aber nicht hervor, so kann man auch sagen: die Natur der wirklichen Koͤrper macht die Mathematik anwendbar; ist aber keine Bedingung ihrer Moͤglichkeit an sich; und so ist es auch in Ansehung der Moral.
Ueberhaupt muß man nicht vergessen (wie es doch zu geschehen pflegt), daß die transzendentalen Prinzipien bloß die conditio sine qua non zur angewandten Philosophie sind; enthalten aber nicht alles, wornach diese beurtheilt werden muß.
Daß Sie uͤbrigens, theuerster Freund! unsre Nation zur Behauptung ihrer Originalitaͤt und Aeußerung ihrer Selbstthaͤtigkeit auffordern, ist ein Beweiß ihrer edlen Gesinnungen. Wenn Sie aber glauben, daß dieses durch das Wuͤhlen in ihren einheimischen orientalischen Geistesschaͤtzen bewerkstelligt werden muß, kann ich hierin mit Jhnen nicht uͤbereinstimmen; wo dieses nicht bloß als ein an sich naͤrrisches Mittel zur Erlangung eines vernuͤnftigen Zweckes mit vieler Behutsamkeit gebraucht werden soll. Von der so hochgepriesenen orientalischen Weißheit habe ich keinen Begriff. Aus der Kabbala, wie wir sie jetzt haben, kann man so wenig etwas vernuͤnftig Theoretisches, als etwas nuͤtzlich Praktisches lernen. Sie besteht in einem bloßen Spiele mit Zahlen und Buchstaben, worin die Kabbalisten große Geheimnisse suchen,
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/104>, abgerufen am 15.08.2024. |