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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

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"Wo ist hier (frägt der Verfasser) Einheit des Geistes, die doch jeder in sich fühlt? voila les deux hommes en moi meme que je connois bien, rief Ludwig der 14te sehr erbauet, bei einer Arie von Racine, die diese Zweispaltigkeit des innern und äußern Menschen beklagte. Dagegen der wackere Luther es sehr lobte, wenns hübsch uneinig in uns hergienge: es sey gut, wenn der Mensch einen obern und untern Willen fühle, sonst sey der geistliche Tod schon da."

Jch bemerke aber hier, das man den wackern Luther mit unserm wackern Verfasser leicht vereinigen kann. Die physische Vollkommenheit des Geistes beruhet freilich, wie der Verfasser behauptet, auf der Einheit desselben, die jeder in sich fühlt. Hingegen beruhet seine moralische Vollkommenheit auf dem formalen Vernunftgesetz und dem freien Willen, im Gegensatze der aus den Gefühlen entsprungenen Neigungen. Hierinnen hat also Luther vollkommen Recht, wenn er sagt, daß, wenn der Mensch nicht einen obern (freien) und untern (aus Gefühlen entsprungenen) Willen in sich fühle, so sey der geistige Tod schon da, weil alsdann die moralische Vollkommenheit, die das eigentliche Daseyn des Geistes ausmacht, zernichtet wird, wie ich dieses im vorhergehenden Aufsatze gezeigt habe.

S. 20. 21. heißt es: "Es ist also keinesweges der Verstand, der aus seinem Vorrath angebohrner oder eingetrichterter Jdeen etwas hervorlangt,


»Wo ist hier (fraͤgt der Verfasser) Einheit des Geistes, die doch jeder in sich fuͤhlt? voila les deux hommes en moi même que je connois bien, rief Ludwig der 14te sehr erbauet, bei einer Arie von Racine, die diese Zweispaltigkeit des innern und aͤußern Menschen beklagte. Dagegen der wackere Luther es sehr lobte, wenns huͤbsch uneinig in uns hergienge: es sey gut, wenn der Mensch einen obern und untern Willen fuͤhle, sonst sey der geistliche Tod schon da.«

Jch bemerke aber hier, das man den wackern Luther mit unserm wackern Verfasser leicht vereinigen kann. Die physische Vollkommenheit des Geistes beruhet freilich, wie der Verfasser behauptet, auf der Einheit desselben, die jeder in sich fuͤhlt. Hingegen beruhet seine moralische Vollkommenheit auf dem formalen Vernunftgesetz und dem freien Willen, im Gegensatze der aus den Gefuͤhlen entsprungenen Neigungen. Hierinnen hat also Luther vollkommen Recht, wenn er sagt, daß, wenn der Mensch nicht einen obern (freien) und untern (aus Gefuͤhlen entsprungenen) Willen in sich fuͤhle, so sey der geistige Tod schon da, weil alsdann die moralische Vollkommenheit, die das eigentliche Daseyn des Geistes ausmacht, zernichtet wird, wie ich dieses im vorhergehenden Aufsatze gezeigt habe.

S. 20. 21. heißt es: »Es ist also keinesweges der Verstand, der aus seinem Vorrath angebohrner oder eingetrichterter Jdeen etwas hervorlangt,

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[92/0094] »Wo ist hier (fraͤgt der Verfasser) Einheit des Geistes, die doch jeder in sich fuͤhlt? voila les deux hommes en moi même que je connois bien, rief Ludwig der 14te sehr erbauet, bei einer Arie von Racine, die diese Zweispaltigkeit des innern und aͤußern Menschen beklagte. Dagegen der wackere Luther es sehr lobte, wenns huͤbsch uneinig in uns hergienge: es sey gut, wenn der Mensch einen obern und untern Willen fuͤhle, sonst sey der geistliche Tod schon da.« Jch bemerke aber hier, das man den wackern Luther mit unserm wackern Verfasser leicht vereinigen kann. Die physische Vollkommenheit des Geistes beruhet freilich, wie der Verfasser behauptet, auf der Einheit desselben, die jeder in sich fuͤhlt. Hingegen beruhet seine moralische Vollkommenheit auf dem formalen Vernunftgesetz und dem freien Willen, im Gegensatze der aus den Gefuͤhlen entsprungenen Neigungen. Hierinnen hat also Luther vollkommen Recht, wenn er sagt, daß, wenn der Mensch nicht einen obern (freien) und untern (aus Gefuͤhlen entsprungenen) Willen in sich fuͤhle, so sey der geistige Tod schon da, weil alsdann die moralische Vollkommenheit, die das eigentliche Daseyn des Geistes ausmacht, zernichtet wird, wie ich dieses im vorhergehenden Aufsatze gezeigt habe. S. 20. 21. heißt es: »Es ist also keinesweges der Verstand, der aus seinem Vorrath angebohrner oder eingetrichterter Jdeen etwas hervorlangt,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/94>, abgerufen am 28.04.2024.