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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

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Die merkwürdigsten Visionen aber sind die symbolischen, wo die Vorstellungen keine natürliche Zeichen, sondern blos willkürliche Zeichen der Begebenheiten sind. Jeremias z.B. sah einen Mandelstock, dessen Bedeutung die Beschleunigung der göttlichen Rache war, indem das Wort dqsh (Schakad) in der hebräischen Sprache sowohl Beschleunigung, als einen Mandelbaum bedeutet. Und was noch sonderbarer ist, so haben zuweilen die Vorstellung und die vorgestellte Sache nicht einmal einen gemeinschaftlichen Namen, sondern blos die Buchstaben sind beiden Namen gemeinschaftlich. Sacharias z.B. nahm im prophetischen Traume zwei Stäbe, und nannte den einen Noam, den andern Chowlim; dadurch wurde ihm angedeutet, daß die Nation anfänglich Gott gefällig gewesen, hernach aber in Verderb gerathen, und dadurch Gott widrig geworden sey. Nun aber kann das Wort Chowlim nicht widrig bedeuten, wenn man nicht die Buchstaben versetzt und Bochlim daraus macht, so wie dieses aus dem Verfolge dieser Prophezeihung selbst zu ersehen ist.*)

Da ich hier von der Würkung der Jdeenassociation spreche, so will ich bei dieser Gelegenheit

*) Diese Bemerkungen über Visionen habe ich meinem großen Lehrer, dem Maimonides zu verdanken; von dessen Schriften ich bei einer andern Gelegenheit sprechen werde.

Die merkwuͤrdigsten Visionen aber sind die symbolischen, wo die Vorstellungen keine natuͤrliche Zeichen, sondern blos willkuͤrliche Zeichen der Begebenheiten sind. Jeremias z.B. sah einen Mandelstock, dessen Bedeutung die Beschleunigung der goͤttlichen Rache war, indem das Wort דקש (Schakad) in der hebraͤischen Sprache sowohl Beschleunigung, als einen Mandelbaum bedeutet. Und was noch sonderbarer ist, so haben zuweilen die Vorstellung und die vorgestellte Sache nicht einmal einen gemeinschaftlichen Namen, sondern blos die Buchstaben sind beiden Namen gemeinschaftlich. Sacharias z.B. nahm im prophetischen Traume zwei Staͤbe, und nannte den einen Noam, den andern Chowlim; dadurch wurde ihm angedeutet, daß die Nation anfaͤnglich Gott gefaͤllig gewesen, hernach aber in Verderb gerathen, und dadurch Gott widrig geworden sey. Nun aber kann das Wort Chowlim nicht widrig bedeuten, wenn man nicht die Buchstaben versetzt und Bochlim daraus macht, so wie dieses aus dem Verfolge dieser Prophezeihung selbst zu ersehen ist.*)

Da ich hier von der Wuͤrkung der Jdeenassociation spreche, so will ich bei dieser Gelegenheit

*) Diese Bemerkungen uͤber Visionen habe ich meinem großen Lehrer, dem Maimonides zu verdanken; von dessen Schriften ich bei einer andern Gelegenheit sprechen werde.
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[85/0087] Die merkwuͤrdigsten Visionen aber sind die symbolischen, wo die Vorstellungen keine natuͤrliche Zeichen, sondern blos willkuͤrliche Zeichen der Begebenheiten sind. Jeremias z.B. sah einen Mandelstock, dessen Bedeutung die Beschleunigung der goͤttlichen Rache war, indem das Wort דקש (Schakad) in der hebraͤischen Sprache sowohl Beschleunigung, als einen Mandelbaum bedeutet. Und was noch sonderbarer ist, so haben zuweilen die Vorstellung und die vorgestellte Sache nicht einmal einen gemeinschaftlichen Namen, sondern blos die Buchstaben sind beiden Namen gemeinschaftlich. Sacharias z.B. nahm im prophetischen Traume zwei Staͤbe, und nannte den einen Noam, den andern Chowlim; dadurch wurde ihm angedeutet, daß die Nation anfaͤnglich Gott gefaͤllig gewesen, hernach aber in Verderb gerathen, und dadurch Gott widrig geworden sey. Nun aber kann das Wort Chowlim nicht widrig bedeuten, wenn man nicht die Buchstaben versetzt und Bochlim daraus macht, so wie dieses aus dem Verfolge dieser Prophezeihung selbst zu ersehen ist.*) Da ich hier von der Wuͤrkung der Jdeenassociation spreche, so will ich bei dieser Gelegenheit *) Diese Bemerkungen uͤber Visionen habe ich meinem großen Lehrer, dem Maimonides zu verdanken; von dessen Schriften ich bei einer andern Gelegenheit sprechen werde.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/87>, abgerufen am 28.04.2024.