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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

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Die Unterbrechung einer in der Erfahrung gegründeten Associationsreihe ist ein Merkmahl der Nichtwürklichkeit der Vorstellungen außer uns. Es träumte mir z.B. als: machte ich eine Reise von Berlin nach Paris, ich passire im Traume alle Oerter die zwischen diesen beiden Hauptstädten liegen ihrer Ordnung nach durch, gelange endlich in Paris an; aber siehe! ich erblicke unweit von der Pont neuf die Berliner Garnisonkirche; die Associationsreihe der Kontiguität wird dadurch unterbrochen, und ich werde daher veranlaßt zu glauben, das dieses alles ein Traum sey, und dergl.

Wäre in der Folge unserer Vorstellungen aufeinander gar kein Gesetz anzutreffen, so hätten wir sie, da sie in der That Modificationen unserer selbst sind, nothwendig für ein Spiel der Einbildungskraft gehalten, und niemals auf etwas außer demselben bezogen. Also nicht die Unterbrechung der nach einem Gesetze angefangenen Associationsreihe, sondern vielmehr umgekehrt ihre Folge nach einem Gesetze ein Merkmal der Würklichkeit außer uns ist.

Um aber die Natur dieser Täuschung und den Unterschied zwischen Wachen und Träumen genauer bestimmen zu können, muß ich erstlich die Natur der verschiedenen Associationsarten entwicklen.

Es giebt nehmlich dreierlei Associationsarten; 1) die der Kontiguität (der unmittelbaren Folge aufeinander in Zeit und Raum); 2) der Aehnlichkeit; 3) der Dependenz (von Grund und Folge.)



Die Unterbrechung einer in der Erfahrung gegruͤndeten Associationsreihe ist ein Merkmahl der Nichtwuͤrklichkeit der Vorstellungen außer uns. Es traͤumte mir z.B. als: machte ich eine Reise von Berlin nach Paris, ich passire im Traume alle Oerter die zwischen diesen beiden Hauptstaͤdten liegen ihrer Ordnung nach durch, gelange endlich in Paris an; aber siehe! ich erblicke unweit von der Pont neuf die Berliner Garnisonkirche; die Associationsreihe der Kontiguitaͤt wird dadurch unterbrochen, und ich werde daher veranlaßt zu glauben, das dieses alles ein Traum sey, und dergl.

Waͤre in der Folge unserer Vorstellungen aufeinander gar kein Gesetz anzutreffen, so haͤtten wir sie, da sie in der That Modificationen unserer selbst sind, nothwendig fuͤr ein Spiel der Einbildungskraft gehalten, und niemals auf etwas außer demselben bezogen. Also nicht die Unterbrechung der nach einem Gesetze angefangenen Associationsreihe, sondern vielmehr umgekehrt ihre Folge nach einem Gesetze ein Merkmal der Wuͤrklichkeit außer uns ist.

Um aber die Natur dieser Taͤuschung und den Unterschied zwischen Wachen und Traͤumen genauer bestimmen zu koͤnnen, muß ich erstlich die Natur der verschiedenen Associationsarten entwicklen.

Es giebt nehmlich dreierlei Associationsarten; 1) die der Kontiguitaͤt (der unmittelbaren Folge aufeinander in Zeit und Raum); 2) der Aehnlichkeit; 3) der Dependenz (von Grund und Folge.)


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[76/0078] Die Unterbrechung einer in der Erfahrung gegruͤndeten Associationsreihe ist ein Merkmahl der Nichtwuͤrklichkeit der Vorstellungen außer uns. Es traͤumte mir z.B. als: machte ich eine Reise von Berlin nach Paris, ich passire im Traume alle Oerter die zwischen diesen beiden Hauptstaͤdten liegen ihrer Ordnung nach durch, gelange endlich in Paris an; aber siehe! ich erblicke unweit von der Pont neuf die Berliner Garnisonkirche; die Associationsreihe der Kontiguitaͤt wird dadurch unterbrochen, und ich werde daher veranlaßt zu glauben, das dieses alles ein Traum sey, und dergl. Waͤre in der Folge unserer Vorstellungen aufeinander gar kein Gesetz anzutreffen, so haͤtten wir sie, da sie in der That Modificationen unserer selbst sind, nothwendig fuͤr ein Spiel der Einbildungskraft gehalten, und niemals auf etwas außer demselben bezogen. Also nicht die Unterbrechung der nach einem Gesetze angefangenen Associationsreihe, sondern vielmehr umgekehrt ihre Folge nach einem Gesetze ein Merkmal der Wuͤrklichkeit außer uns ist. Um aber die Natur dieser Taͤuschung und den Unterschied zwischen Wachen und Traͤumen genauer bestimmen zu koͤnnen, muß ich erstlich die Natur der verschiedenen Associationsarten entwicklen. Es giebt nehmlich dreierlei Associationsarten; 1) die der Kontiguitaͤt (der unmittelbaren Folge aufeinander in Zeit und Raum); 2) der Aehnlichkeit; 3) der Dependenz (von Grund und Folge.)

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/78>, abgerufen am 28.04.2024.