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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

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Mensch wird im Traume auf einmal ein witziger Kopf, und der feigste ein Held. Man hält Reden, macht Verse und dergleichen, mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit u.s.w. weil die Einbildungskraft in der gegenwärtigen Associationsreihe so geschwind von der einen Vorstellung zur andern übergeht, und gleichsam die ganze Reihe, ohne sich umzusehn, in einem Athem durchläuft, so daß gar keine Vergleichung zwischen verschiedenen Reihen möglich ist.

Daher kann sich auch ein Nachtwandler von dem, was er während dieser Zeit verrichtet hat, gar nichts erinnern, weil die gegenwärtigen Jdeen in die während seines Nachtwandelns herrschende Reihe gar nicht passen wollen, indem die Reihe der Ersten, durch beständige Unterbrechung der Empfindungen viel Lücken enthält, und daher nicht so vollständig seyn kann, als die während des Nachtwandelns.

Die Vollständigkeit der Reihe ist auch der Grund, warum ein Nachtwandler sein Geschäft weit sichrer, richtiger und geschwinder, als im wachenden Zustande, verrichten kann, weil nehmlich im ersten Falle die zu diesem Zwecke nöthige Reihe weit vollständiger, als im letzten Falle ist.

Jch glaube hier zur Erklärung einiger Phänomene in der Psychologie neue Aussichten eröfnet zu haben. Z.B. zu der Möglichkeit der Ahndungen, Vorhersehungen, und dergleichen; worüber ich mich aber aus gewissen Ursachen nicht näher erklären will.



Mensch wird im Traume auf einmal ein witziger Kopf, und der feigste ein Held. Man haͤlt Reden, macht Verse und dergleichen, mit bewunderungswuͤrdiger Geschicklichkeit u.s.w. weil die Einbildungskraft in der gegenwaͤrtigen Associationsreihe so geschwind von der einen Vorstellung zur andern uͤbergeht, und gleichsam die ganze Reihe, ohne sich umzusehn, in einem Athem durchlaͤuft, so daß gar keine Vergleichung zwischen verschiedenen Reihen moͤglich ist.

Daher kann sich auch ein Nachtwandler von dem, was er waͤhrend dieser Zeit verrichtet hat, gar nichts erinnern, weil die gegenwaͤrtigen Jdeen in die waͤhrend seines Nachtwandelns herrschende Reihe gar nicht passen wollen, indem die Reihe der Ersten, durch bestaͤndige Unterbrechung der Empfindungen viel Luͤcken enthaͤlt, und daher nicht so vollstaͤndig seyn kann, als die waͤhrend des Nachtwandelns.

Die Vollstaͤndigkeit der Reihe ist auch der Grund, warum ein Nachtwandler sein Geschaͤft weit sichrer, richtiger und geschwinder, als im wachenden Zustande, verrichten kann, weil nehmlich im ersten Falle die zu diesem Zwecke noͤthige Reihe weit vollstaͤndiger, als im letzten Falle ist.

Jch glaube hier zur Erklaͤrung einiger Phaͤnomene in der Psychologie neue Aussichten eroͤfnet zu haben. Z.B. zu der Moͤglichkeit der Ahndungen, Vorhersehungen, und dergleichen; woruͤber ich mich aber aus gewissen Ursachen nicht naͤher erklaͤren will.


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[75/0077] Mensch wird im Traume auf einmal ein witziger Kopf, und der feigste ein Held. Man haͤlt Reden, macht Verse und dergleichen, mit bewunderungswuͤrdiger Geschicklichkeit u.s.w. weil die Einbildungskraft in der gegenwaͤrtigen Associationsreihe so geschwind von der einen Vorstellung zur andern uͤbergeht, und gleichsam die ganze Reihe, ohne sich umzusehn, in einem Athem durchlaͤuft, so daß gar keine Vergleichung zwischen verschiedenen Reihen moͤglich ist. Daher kann sich auch ein Nachtwandler von dem, was er waͤhrend dieser Zeit verrichtet hat, gar nichts erinnern, weil die gegenwaͤrtigen Jdeen in die waͤhrend seines Nachtwandelns herrschende Reihe gar nicht passen wollen, indem die Reihe der Ersten, durch bestaͤndige Unterbrechung der Empfindungen viel Luͤcken enthaͤlt, und daher nicht so vollstaͤndig seyn kann, als die waͤhrend des Nachtwandelns. Die Vollstaͤndigkeit der Reihe ist auch der Grund, warum ein Nachtwandler sein Geschaͤft weit sichrer, richtiger und geschwinder, als im wachenden Zustande, verrichten kann, weil nehmlich im ersten Falle die zu diesem Zwecke noͤthige Reihe weit vollstaͤndiger, als im letzten Falle ist. Jch glaube hier zur Erklaͤrung einiger Phaͤnomene in der Psychologie neue Aussichten eroͤfnet zu haben. Z.B. zu der Moͤglichkeit der Ahndungen, Vorhersehungen, und dergleichen; woruͤber ich mich aber aus gewissen Ursachen nicht naͤher erklaͤren will.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/77>, abgerufen am 27.04.2024.