Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.B. J. nahm dieses Anerbieten mit Freuden an. Er kam also in diesem Hause unter vortheilhaften Bedingungen als Hofmeister an, und blieb zwei Jahre in größter Ehre darin. Man that nichts in diesem Hause ohne sein Wissen. Man begegnete ihm mit der größten Ehrerbietung. Man hielt ihn beinahe für ein mehr als menschliches Wesen. So flossen die paar Jahre unvermerkt und glücklich für ihn hin. Unter der Zeit giengen aber doch einige kleine Begebenheiten mit ihm vor, die wegen ihrer Merkwürdigkeit in dieser Geschichte nicht übergangen werden dürfen. Erstlich gieng die Hochachtung für seine Person in diesem Hause so weit, daß man ihn malgre lui zum Propheten machen wollte. Es gieng damit folgendermaßen zu. Der Schüler des B. J. war mit der Tochter eines Oberrabbiners, der ein Schwager des Oberrabbiners in Posen war, versprochen worden. Die Braut, ein Mädchen von ohngefähr zwölf Jahren, wurde, wie gewöhnlich, auf den Pflngstfeiertag von ihren Schwiegereltern nach Posen abgehohlt. B. J. bemerkte, daß dieses Mädchen von sehr phlegmatischem Temperament, und ziemlich kachetisch sey. Er entdeckte dieses dem Bruder seines Hausherrn, der also seines Schülers Onkel war, und fügte noch mit einer bedeutenden Miene hinzu, daß er für das Mädchen sehr besorgt sey, indem er nicht glaube, daß ihre Gesundheit von langer B. J. nahm dieses Anerbieten mit Freuden an. Er kam also in diesem Hause unter vortheilhaften Bedingungen als Hofmeister an, und blieb zwei Jahre in groͤßter Ehre darin. Man that nichts in diesem Hause ohne sein Wissen. Man begegnete ihm mit der groͤßten Ehrerbietung. Man hielt ihn beinahe fuͤr ein mehr als menschliches Wesen. So flossen die paar Jahre unvermerkt und gluͤcklich fuͤr ihn hin. Unter der Zeit giengen aber doch einige kleine Begebenheiten mit ihm vor, die wegen ihrer Merkwuͤrdigkeit in dieser Geschichte nicht uͤbergangen werden duͤrfen. Erstlich gieng die Hochachtung fuͤr seine Person in diesem Hause so weit, daß man ihn malgré lui zum Propheten machen wollte. Es gieng damit folgendermaßen zu. Der Schuͤler des B. J. war mit der Tochter eines Oberrabbiners, der ein Schwager des Oberrabbiners in Posen war, versprochen worden. Die Braut, ein Maͤdchen von ohngefaͤhr zwoͤlf Jahren, wurde, wie gewoͤhnlich, auf den Pflngstfeiertag von ihren Schwiegereltern nach Posen abgehohlt. B. J. bemerkte, daß dieses Maͤdchen von sehr phlegmatischem Temperament, und ziemlich kachetisch sey. Er entdeckte dieses dem Bruder seines Hausherrn, der also seines Schuͤlers Onkel war, und fuͤgte noch mit einer bedeutenden Miene hinzu, daß er fuͤr das Maͤdchen sehr besorgt sey, indem er nicht glaube, daß ihre Gesundheit von langer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0068" n="66"/><lb/> <p><hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> nahm dieses Anerbieten mit Freuden an. Er kam also in diesem Hause unter vortheilhaften Bedingungen als Hofmeister an, und blieb zwei Jahre in groͤßter Ehre darin. Man that nichts in diesem Hause ohne sein Wissen. Man begegnete ihm mit der groͤßten Ehrerbietung. Man hielt ihn beinahe fuͤr ein mehr als menschliches Wesen.</p> <p>So flossen die paar Jahre unvermerkt und gluͤcklich fuͤr ihn hin. Unter der Zeit giengen aber doch einige kleine Begebenheiten mit ihm vor, die wegen ihrer Merkwuͤrdigkeit in dieser Geschichte nicht uͤbergangen werden duͤrfen.</p> <p>Erstlich gieng die Hochachtung fuͤr seine Person in diesem Hause so weit, daß man ihn <hi rendition="#aq">malgré lui</hi> zum Propheten machen wollte. Es gieng damit folgendermaßen zu.</p> <p>Der Schuͤler des <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> war mit der Tochter eines Oberrabbiners, der ein Schwager des Oberrabbiners in Posen war, versprochen worden. Die Braut, ein Maͤdchen von ohngefaͤhr zwoͤlf Jahren, wurde, wie gewoͤhnlich, auf den Pflngstfeiertag von ihren Schwiegereltern nach Posen abgehohlt. <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> bemerkte, daß dieses Maͤdchen von sehr phlegmatischem Temperament, und ziemlich kachetisch sey. Er entdeckte dieses dem Bruder seines Hausherrn, der also seines Schuͤlers Onkel war, und fuͤgte noch mit einer bedeutenden Miene hinzu, daß er fuͤr das Maͤdchen sehr besorgt sey, indem er nicht glaube, daß ihre Gesundheit von langer<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0068]
B. J. nahm dieses Anerbieten mit Freuden an. Er kam also in diesem Hause unter vortheilhaften Bedingungen als Hofmeister an, und blieb zwei Jahre in groͤßter Ehre darin. Man that nichts in diesem Hause ohne sein Wissen. Man begegnete ihm mit der groͤßten Ehrerbietung. Man hielt ihn beinahe fuͤr ein mehr als menschliches Wesen.
So flossen die paar Jahre unvermerkt und gluͤcklich fuͤr ihn hin. Unter der Zeit giengen aber doch einige kleine Begebenheiten mit ihm vor, die wegen ihrer Merkwuͤrdigkeit in dieser Geschichte nicht uͤbergangen werden duͤrfen.
Erstlich gieng die Hochachtung fuͤr seine Person in diesem Hause so weit, daß man ihn malgré lui zum Propheten machen wollte. Es gieng damit folgendermaßen zu.
Der Schuͤler des B. J. war mit der Tochter eines Oberrabbiners, der ein Schwager des Oberrabbiners in Posen war, versprochen worden. Die Braut, ein Maͤdchen von ohngefaͤhr zwoͤlf Jahren, wurde, wie gewoͤhnlich, auf den Pflngstfeiertag von ihren Schwiegereltern nach Posen abgehohlt. B. J. bemerkte, daß dieses Maͤdchen von sehr phlegmatischem Temperament, und ziemlich kachetisch sey. Er entdeckte dieses dem Bruder seines Hausherrn, der also seines Schuͤlers Onkel war, und fuͤgte noch mit einer bedeutenden Miene hinzu, daß er fuͤr das Maͤdchen sehr besorgt sey, indem er nicht glaube, daß ihre Gesundheit von langer
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