Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.
Sie gestanden zwar, daß B. J. bei seiner Neigung zum Nachdenken über Religion dennoch ein frommer Mann und orthodoxer Rabbiner sey; traueten aber ihren Kindern so viel Beurtheilung nicht zu, daß sie diesen Weg einschlagen könnten, ohne von dem einen Extrem zum andern, vom Aberglauben zum Unglauben überzugehn, worin sie auch vielleicht Recht hatten. Nachdem B. J. ungefähr vier Wochen auf diese Art zugebracht hatte, kam der Mann bei dem er logirte zu ihm, und redete ihn auf folgende Weise an: Herr B. J.! erlauben Sie mir, daß ich Jhnen einen Vorschlag thue! Sind Sie blos zum Selbststudium geneigt, so können Sie hier bleiben, so lange Sie immer wollen. Wollen Sie sich aber nicht blos in sich konzentriren, und sind Sie geneigt, mit Jhren Talenten der Welt zu nutzen, so ist hier ein reicher Mann, einer der vornehmsten dieser Stadt, der einen einzigen Sohn hat, und der nichts so sehr wünscht, als Sie zum Hofmeister zu haben. Dieser Mann ist mein Schwager; wenn Sie es also nicht seinetwegen thun wollen, so thun Sie es meinetwegen, und dem Oberrabbiner zu Gefallen, dem die Erziehung meines Schwagers Sohns, der in seiner Familie vermählt ist, am Herzen liegt.
Sie gestanden zwar, daß B. J. bei seiner Neigung zum Nachdenken uͤber Religion dennoch ein frommer Mann und orthodoxer Rabbiner sey; traueten aber ihren Kindern so viel Beurtheilung nicht zu, daß sie diesen Weg einschlagen koͤnnten, ohne von dem einen Extrem zum andern, vom Aberglauben zum Unglauben uͤberzugehn, worin sie auch vielleicht Recht hatten. Nachdem B. J. ungefaͤhr vier Wochen auf diese Art zugebracht hatte, kam der Mann bei dem er logirte zu ihm, und redete ihn auf folgende Weise an: Herr B. J.! erlauben Sie mir, daß ich Jhnen einen Vorschlag thue! Sind Sie blos zum Selbststudium geneigt, so koͤnnen Sie hier bleiben, so lange Sie immer wollen. Wollen Sie sich aber nicht blos in sich konzentriren, und sind Sie geneigt, mit Jhren Talenten der Welt zu nutzen, so ist hier ein reicher Mann, einer der vornehmsten dieser Stadt, der einen einzigen Sohn hat, und der nichts so sehr wuͤnscht, als Sie zum Hofmeister zu haben. Dieser Mann ist mein Schwager; wenn Sie es also nicht seinetwegen thun wollen, so thun Sie es meinetwegen, und dem Oberrabbiner zu Gefallen, dem die Erziehung meines Schwagers Sohns, der in seiner Familie vermaͤhlt ist, am Herzen liegt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0067" n="65"/><lb/> durch verfuͤhrt, und durch Selbstdenken uͤber Religion in ihrem Glauben wankend gemacht werden moͤchten.</p> <p>Sie gestanden zwar, daß <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> bei seiner Neigung zum Nachdenken uͤber Religion dennoch ein frommer Mann und orthodoxer Rabbiner sey; traueten aber ihren Kindern so viel Beurtheilung nicht zu, daß sie diesen Weg einschlagen koͤnnten, ohne von dem einen Extrem zum andern, vom Aberglauben zum Unglauben uͤberzugehn, worin sie auch vielleicht Recht hatten.</p> <p>Nachdem <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> ungefaͤhr vier Wochen auf diese Art zugebracht hatte, kam der Mann bei dem er logirte zu ihm, und redete ihn auf folgende Weise an: Herr <hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi>! erlauben Sie mir, daß ich Jhnen einen Vorschlag thue! Sind Sie blos zum Selbststudium geneigt, so koͤnnen Sie hier bleiben, so lange Sie immer wollen. Wollen Sie sich aber nicht blos in sich konzentriren, und sind Sie geneigt, mit Jhren Talenten der Welt zu nutzen, so ist hier ein reicher Mann, einer der vornehmsten dieser Stadt, der einen einzigen Sohn hat, und der nichts so sehr wuͤnscht, als Sie zum Hofmeister zu haben. Dieser Mann ist mein Schwager; wenn Sie es also nicht seinetwegen thun wollen, so thun Sie es meinetwegen, und dem Oberrabbiner zu Gefallen, dem die Erziehung meines Schwagers Sohns, der in seiner Familie vermaͤhlt ist, am Herzen liegt.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [65/0067]
durch verfuͤhrt, und durch Selbstdenken uͤber Religion in ihrem Glauben wankend gemacht werden moͤchten.
Sie gestanden zwar, daß B. J. bei seiner Neigung zum Nachdenken uͤber Religion dennoch ein frommer Mann und orthodoxer Rabbiner sey; traueten aber ihren Kindern so viel Beurtheilung nicht zu, daß sie diesen Weg einschlagen koͤnnten, ohne von dem einen Extrem zum andern, vom Aberglauben zum Unglauben uͤberzugehn, worin sie auch vielleicht Recht hatten.
Nachdem B. J. ungefaͤhr vier Wochen auf diese Art zugebracht hatte, kam der Mann bei dem er logirte zu ihm, und redete ihn auf folgende Weise an: Herr B. J.! erlauben Sie mir, daß ich Jhnen einen Vorschlag thue! Sind Sie blos zum Selbststudium geneigt, so koͤnnen Sie hier bleiben, so lange Sie immer wollen. Wollen Sie sich aber nicht blos in sich konzentriren, und sind Sie geneigt, mit Jhren Talenten der Welt zu nutzen, so ist hier ein reicher Mann, einer der vornehmsten dieser Stadt, der einen einzigen Sohn hat, und der nichts so sehr wuͤnscht, als Sie zum Hofmeister zu haben. Dieser Mann ist mein Schwager; wenn Sie es also nicht seinetwegen thun wollen, so thun Sie es meinetwegen, und dem Oberrabbiner zu Gefallen, dem die Erziehung meines Schwagers Sohns, der in seiner Familie vermaͤhlt ist, am Herzen liegt.
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