Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.
Mit den Krankheiten der Seele ist es hingegen ganz anders beschaffen. Ein Mediciner würde es sehr übel nehmen, wenn man sagen wollte, daß es noch viele Krankheiten gäbe, wovon er, aus seiner Theorie, nichts wisse. Ein Engländischer vortreflicher mathematischer Arzt drückt sich hierüber folgendermaßen aus: "ich zweifele nun gar nicht, die so wichtige Aufgabe: gegen eine jede gegebne Krankheit, auch ein Mittel zu erfinden -- aufgelöst und beantwortet zu haben, und kann mir also mit Recht schmeicheln, dieses so große Geschäft glücklich zu Stande gebracht zu haben."*) Und sollte eine Krankheit ihm vorkommen, die von allen ihm bis jetzt bekannten noch so sehr verschieden wäre, so wird er sie doch zu klassifizieren wissen, und ihre Verschiedenheit aus besondern zufälligen Umständen zu erklären suchen. Der Seelenarzt aber kann hierin noch nicht so sicher zu Werke gehn. *) Siehe Gregory's Uebersicht der theoretischen Arzneiwissenschaft etc. Vorrede.
Mit den Krankheiten der Seele ist es hingegen ganz anders beschaffen. Ein Mediciner wuͤrde es sehr uͤbel nehmen, wenn man sagen wollte, daß es noch viele Krankheiten gaͤbe, wovon er, aus seiner Theorie, nichts wisse. Ein Englaͤndischer vortreflicher mathematischer Arzt druͤckt sich hieruͤber folgendermaßen aus: »ich zweifele nun gar nicht, die so wichtige Aufgabe: gegen eine jede gegebne Krankheit, auch ein Mittel zu erfinden — aufgeloͤst und beantwortet zu haben, und kann mir also mit Recht schmeicheln, dieses so große Geschaͤft gluͤcklich zu Stande gebracht zu haben.«*) Und sollte eine Krankheit ihm vorkommen, die von allen ihm bis jetzt bekannten noch so sehr verschieden waͤre, so wird er sie doch zu klassifizieren wissen, und ihre Verschiedenheit aus besondern zufaͤlligen Umstaͤnden zu erklaͤren suchen. Der Seelenarzt aber kann hierin noch nicht so sicher zu Werke gehn. *) Siehe Gregory's Uebersicht der theoretischen Arzneiwissenschaft etc. Vorrede.
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mannigfaltiger, als die der Seele darbieten; indem fast jeder Mensch in seinem Leben in eine Krankheit des Koͤrpers gerathen muß; da es hingegen sehr selten geschiehet, daß ein Mensch toll oder rasend wird) nicht blos a priori, sondern auch durch Erfahrung und Beobachtung vollstaͤndig behandelt werden.
Mit den Krankheiten der Seele ist es hingegen ganz anders beschaffen. Ein Mediciner wuͤrde es sehr uͤbel nehmen, wenn man sagen wollte, daß es noch viele Krankheiten gaͤbe, wovon er, aus seiner Theorie, nichts wisse. Ein Englaͤndischer vortreflicher mathematischer Arzt druͤckt sich hieruͤber folgendermaßen aus: »ich zweifele nun gar nicht, die so wichtige Aufgabe: gegen eine jede gegebne Krankheit, auch ein Mittel zu erfinden — aufgeloͤst und beantwortet zu haben, und kann mir also mit Recht schmeicheln, dieses so große Geschaͤft gluͤcklich zu Stande gebracht zu haben.«*) Und sollte eine Krankheit ihm vorkommen, die von allen ihm bis jetzt bekannten noch so sehr verschieden waͤre, so wird er sie doch zu klassifizieren wissen, und ihre Verschiedenheit aus besondern zufaͤlligen Umstaͤnden zu erklaͤren suchen. Der Seelenarzt aber kann hierin noch nicht so sicher zu Werke gehn.
*) Siehe Gregory's Uebersicht der theoretischen Arzneiwissenschaft etc. Vorrede.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/16>, abgerufen am 16.02.2025. |