Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


dig abwechselnde neue Gegenstände die Aufmerksamkeit des Menschen von seinem eigenen Zustande abwenden, zum Theil das Erkranken mit so vieler Beschwerlichkeit in der Vorstellung erscheint, wird man in der That selten krank. Geringe Widernatürlichkeiten des Körpers, die den empfindlichen Menschen, wenn er zu Hause wäre, über den Haufen würfen, werden unterwegs kaum von ihm bemerkt und verschwinden oft wirklich ohne alle nachtheilige Folgen, wiewohl sie zuweilen auch mit desto größerer Wuth hervorbrechen, sobald er vom Wagen steigt. -- Es ist erstaunlich, wie viel die Seele über den mit ihr so heterogen scheinenden Körper vermag. Sie kann es bis zur Herrschaft über die unwillkürlichsten seiner Bewegungen und Bedürfnisse bringen. Man weiß, daß während wichtiger Geistesbeschäftigungen das stärkste Purgirmittel seine Wirkung versagt, und man kann durch festen kraftvollen Vorsatz nicht nur Krankheitsgefühle unterdrücken, sondern zuweilen auch Krankheiten aus dem Wege räumen. Jch sehe täglich mit Verwunderung, wie gemeine minder verzärtelte Personen es sich vornehmen, Anwandlungen von einem Fieber zu trotzen, sich nach ihrem Ausdrucke, nicht gefangen zu geben, und wie oft es ihnen wirklich gelingt, das Fieber zurück zu weisen und sich aufrecht zu erhalten. Sie hätten ohnfehlbar dessen regelmäßigen Fortgang erdulden müssen, wenn sie im Anfange nachgegeben hätten!



dig abwechselnde neue Gegenstaͤnde die Aufmerksamkeit des Menschen von seinem eigenen Zustande abwenden, zum Theil das Erkranken mit so vieler Beschwerlichkeit in der Vorstellung erscheint, wird man in der That selten krank. Geringe Widernatuͤrlichkeiten des Koͤrpers, die den empfindlichen Menschen, wenn er zu Hause waͤre, uͤber den Haufen wuͤrfen, werden unterwegs kaum von ihm bemerkt und verschwinden oft wirklich ohne alle nachtheilige Folgen, wiewohl sie zuweilen auch mit desto groͤßerer Wuth hervorbrechen, sobald er vom Wagen steigt. — Es ist erstaunlich, wie viel die Seele uͤber den mit ihr so heterogen scheinenden Koͤrper vermag. Sie kann es bis zur Herrschaft uͤber die unwillkuͤrlichsten seiner Bewegungen und Beduͤrfnisse bringen. Man weiß, daß waͤhrend wichtiger Geistesbeschaͤftigungen das staͤrkste Purgirmittel seine Wirkung versagt, und man kann durch festen kraftvollen Vorsatz nicht nur Krankheitsgefuͤhle unterdruͤcken, sondern zuweilen auch Krankheiten aus dem Wege raͤumen. Jch sehe taͤglich mit Verwunderung, wie gemeine minder verzaͤrtelte Personen es sich vornehmen, Anwandlungen von einem Fieber zu trotzen, sich nach ihrem Ausdrucke, nicht gefangen zu geben, und wie oft es ihnen wirklich gelingt, das Fieber zuruͤck zu weisen und sich aufrecht zu erhalten. Sie haͤtten ohnfehlbar dessen regelmaͤßigen Fortgang erdulden muͤssen, wenn sie im Anfange nachgegeben haͤtten!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0100" n="98"/><lb/>
dig                         abwechselnde neue Gegensta&#x0364;nde die Aufmerksamkeit des Menschen von seinem                         eigenen Zustande abwenden, zum Theil das Erkranken mit so vieler                         Beschwerlichkeit in der Vorstellung erscheint, wird man in der That selten                         krank. Geringe Widernatu&#x0364;rlichkeiten des Ko&#x0364;rpers, die den empfindlichen                         Menschen, wenn er zu Hause wa&#x0364;re, u&#x0364;ber den Haufen wu&#x0364;rfen, werden unterwegs                         kaum von ihm bemerkt und verschwinden oft wirklich ohne alle nachtheilige                         Folgen, wiewohl sie zuweilen auch mit desto gro&#x0364;ßerer Wuth hervorbrechen,                         sobald er vom Wagen steigt. &#x2014; Es ist erstaunlich, wie viel die Seele u&#x0364;ber                         den mit ihr so heterogen scheinenden Ko&#x0364;rper vermag. Sie kann es bis zur                         Herrschaft u&#x0364;ber die unwillku&#x0364;rlichsten seiner Bewegungen und Bedu&#x0364;rfnisse                         bringen. Man weiß, daß wa&#x0364;hrend wichtiger Geistesbescha&#x0364;ftigungen das sta&#x0364;rkste                         Purgirmittel seine Wirkung versagt, und man kann durch festen kraftvollen                         Vorsatz nicht nur Krankheitsgefu&#x0364;hle unterdru&#x0364;cken, sondern zuweilen auch                         Krankheiten aus dem Wege ra&#x0364;umen. Jch sehe ta&#x0364;glich mit Verwunderung, wie                         gemeine minder verza&#x0364;rtelte Personen es sich vornehmen, Anwandlungen von                         einem Fieber zu trotzen, sich nach ihrem Ausdrucke, nicht gefangen zu geben,                         und wie oft es ihnen wirklich gelingt, das Fieber zuru&#x0364;ck zu weisen und sich                         aufrecht zu erhalten. Sie ha&#x0364;tten ohnfehlbar dessen regelma&#x0364;ßigen Fortgang                         erdulden mu&#x0364;ssen, wenn sie im Anfange nachgegeben ha&#x0364;tten!</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0100] dig abwechselnde neue Gegenstaͤnde die Aufmerksamkeit des Menschen von seinem eigenen Zustande abwenden, zum Theil das Erkranken mit so vieler Beschwerlichkeit in der Vorstellung erscheint, wird man in der That selten krank. Geringe Widernatuͤrlichkeiten des Koͤrpers, die den empfindlichen Menschen, wenn er zu Hause waͤre, uͤber den Haufen wuͤrfen, werden unterwegs kaum von ihm bemerkt und verschwinden oft wirklich ohne alle nachtheilige Folgen, wiewohl sie zuweilen auch mit desto groͤßerer Wuth hervorbrechen, sobald er vom Wagen steigt. — Es ist erstaunlich, wie viel die Seele uͤber den mit ihr so heterogen scheinenden Koͤrper vermag. Sie kann es bis zur Herrschaft uͤber die unwillkuͤrlichsten seiner Bewegungen und Beduͤrfnisse bringen. Man weiß, daß waͤhrend wichtiger Geistesbeschaͤftigungen das staͤrkste Purgirmittel seine Wirkung versagt, und man kann durch festen kraftvollen Vorsatz nicht nur Krankheitsgefuͤhle unterdruͤcken, sondern zuweilen auch Krankheiten aus dem Wege raͤumen. Jch sehe taͤglich mit Verwunderung, wie gemeine minder verzaͤrtelte Personen es sich vornehmen, Anwandlungen von einem Fieber zu trotzen, sich nach ihrem Ausdrucke, nicht gefangen zu geben, und wie oft es ihnen wirklich gelingt, das Fieber zuruͤck zu weisen und sich aufrecht zu erhalten. Sie haͤtten ohnfehlbar dessen regelmaͤßigen Fortgang erdulden muͤssen, wenn sie im Anfange nachgegeben haͤtten!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/100
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/100>, abgerufen am 28.04.2024.